Unzufrieden ohne Job

Der Verlust des Arbeitsplatzes verursacht langwierige Wunden. Ein Mensch, der einmal arbeitslos war, wird ein Leben lang unzufriedener sein als vorher – selbst, wenn er wieder Arbeit findet

VON CLAUDIA BORCHARD-TUCH

Wie es um die Lebenszufriedenheit von Arbeitslosen bestellt ist – diese Frage erscheint wichtiger denn je. Ein amerikanisches Forscherteam um Richard E. Lucas, Michigan State University, wertete Daten einer seit 20 Jahren in Deutschland durchgeführten Befragung aus und fand eine Antwort. Erwartungsgemäß reagieren Menschen auf den Verlust ihres Arbeitsplatzes mit starker Unzufriedenheit, erreichen jedoch nach einer bestimmten Zeit wieder ein gewisses Maß an Zufriedenheit. Ein Mensch, der einmal arbeitslos war, wird jedoch sein ganzes weiteres Leben etwas unzufriedener sein als vorher – selbst dann, wenn er wieder beschäftigt ist. Andererseits wird er auf einen erneuten Verlust seines Arbeitsplatzes niemals mehr mit der gleichen Stärke reagieren wie beim ersten Mal.

Dies erstaunte die Forscher, da es der gängigen Set-Point-Theorie widerspricht. Sie besagt, dass jeder Mensch eine für ihn typische, angeborene Grundeinstellung zum Leben hat, zu der er immer wieder zurückfindet. Dass es Optimisten und Pessimisten gibt, dies wissen wir alle. Doch neu ist, dass bestimmte Erfahrungen einen Menschen so beeindrucken können, dass sie Einfluss auf seine gesamte weitere Befindlichkeit nehmen.

Diese Ergebnisse erhielt das Forscherteam, indem es Daten des so genannten Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) auswertete – einer Befragung, die seit 1984 vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin in Zusammenarbeit mit dem Marktforschungsunternehmen TNS Infratest durchgeführt wird.

Einmal jährlich wird befragt, und wie bei einem mit Nut und Feder aneinander gefügten Holz-Panel greift eine Erhebungswelle in die andere. Befragt werden zahlreiche Menschen in ganz Deutschland – allein im Jahre 2003 waren es fast 24.000. Zu den wichtigsten Themen zählen die Zusammensetzung des Haushalts, die Beteiligung am Erwerb und die berufliche Mobilität, der Verlauf des Einkommens, die Gesundheit und die Lebenszufriedenheit. Die vom SOEP erhobenen Daten werden in der ganzen Welt genutzt. Zurzeit werten über 400 Forscherteams die SOEP-Daten aus. Etwa 200 Gruppen arbeiten im Ausland, darunter 100 in den USA.

Zwar liegen die jährlichen Kosten einer SOEP-Befragung mit 2,9 Millionen Euro deutlich über denen einer normalen sozialwissenschaftlichen Erhebung, die bei einem ähnlichen Fragenumfang nur etwa 400.000 Euro kostet. Doch werden in der SOEP-Studie 20.000 Personen befragt, sodass die Studie relativ gesehen nicht kostspieliger ist. Zieht man die Anzahl der Nutzer in Betracht, ist die Studie sogar außerordentlich preiswert – pro Nutzer liegen die Kosten bei 7.000 Euro pro Jahr. Diese sind weitaus geringer als die Ausgaben, die notwendig sind, wenn einzelne Wissenschaftler eigene Umfragen durchführen müssen. So liegen allein die Personalkosten, die einer solchen Veröffentlichung zugrunde liegen, bei etwa 15.000 Euro.

Die Angaben zur Lebenszufriedenheit, die im SOEP seit 20 Jahren erhoben werden, führen zu wichtigen Erkenntnissen über die Folgen der Arbeitslosigkeit. Denn analysiert man die Veränderungen der Lebenszufriedenheit bei Arbeitslosigkeit, dann kann man die wirtschaftspolitisch wichtige Frage beantworten, ob Arbeitslosigkeit neben finanziellen Sorgen nicht noch weitaus größere psychologische Probleme mit sich bringt.

Überwiegt das seelische Leid, dann ist ein relativ hohes Arbeitslosengeld möglich, ohne wirtschaftspolitischen Schaden anzurichten. Denn der psychische Druck, den Arbeitslosigkeit verursacht, wird so groß sein, dass das Erwerbseinkommen gar nicht viel höher als das Arbeitslosengeld sein muss, damit ein Arbeitsloser einen neuen Job akzeptiert.

Die Studie von Lucas und Mitarbeitern zeigt, dass die Zufriedenheit eines Menschen stark abnimmt, wenn dieser unfreiwillig arbeitslos wird. Daher wird er sich sehr darum bemühen, schnellstmöglich wieder eine Beschäftigung zu finden. Da die Reaktion auf einen erneuten Verlust des Arbeitsplatzes jedoch weitaus geringer ausfällt als die beim ersten Mal, ist es offenbar möglich, sich an die Arbeitslosigkeit zu gewöhnen.

Anhand der SOEP-Daten konnte sogar gezeigt werden, dass ein Arbeitsloser nicht unbedingt zufriedener wird, wenn er wieder eine Beschäftigung aufnimmt. Davon auszugehen ist zum Beispiel bei einem 35-jährigen Hochschulabsolventen, der in den letzten drei Jahren 22 Monate arbeitslos war. Bei Langzeitarbeitslosigkeit kann also die Lust auf Arbeit abnehmen.

Infos: www.diw.de/deutsch/sop/