DER FALL BUTTIGLIONE IST AUSDRUCK EINES ITALIENISCHEN KULTURKAMPFS
: Katholische Offensive

Es sollte einer jener Glamour-Events werden, die Silvio Berlusconi so liebt. Bei der Unterzeichnung der EU-Verfassung in Rom: würde da nicht auch ein wenig Glanz für Italien abfallen? Und, wichtiger noch, viel Glanz für den großen Staatenlenker Berlusconi? Daraus wird nun nichts. Berlusconi muss heute eine Fete ausrichten, zu der er am liebsten gar nicht käme. Denn er steht nun als Mann der Niederlage im Scheinwerferlicht – als Mann, der Europa Buttiglione eingebrockt hat.

Schuld an der Niederlage ist nach Meinung konservativer Kreise ausgerechnet jene EU, die sich heute in Italiens Hauptstadt trifft: eine gottlose, antichristliche EU, die den frommen Rocco erst verfolgt, dann zum Märtyrer gemacht hat. So recht glauben mögen aber selbst in Rom nur wenige dieses Märchen. Waren nicht alle Kommissionspräsidenten der letzten Jahre, ob Delors, Santer oder Prodi, praktizierende Katholiken? Und war je einer genötigt worden, seinem Glauben abzuschwören?

So fiktiv also die Mär von Brüssels antichristlicher Offensive ist, so real ist dagegen die katholische Offensive in Italien – und deshalb wohl ist Italiens Rechtsregierung ehrlich erstaunt über die harschen Reaktionen, den ihr Klerikalkurs in Europa findet. Denn in Italien gilt: Ob Schulpolitik oder superrestriktive Regeln für künstliche Befruchtungen, ob Rechte für Homosexuelle oder Aufklärung über Aids-Risiken – erst fragt die Rechtskoalition im Vatikan an, dann schreibt sie ihre Gesetze.

Zu Hause erntet sie dafür nicht einmal Gegenwind: Ein Zapatero wie in Madrid, der mit liberalem Reformeifer die katholische Kirche provoziert, ist auf der italienischen Linken nicht in Sicht. Die Opposition mag sich mit der Kirche nicht anlegen: Ein Teil des Mitte-links-Bündnisses stammt direkt aus der Christdemokratie, den anderen – die früheren Kommunisten – plagt seit je die Furcht, ein Kirchenkampf könne das Land spalten.

So lebt in der Politik ein bigottes Italien fort, das unter den Bürgern schon lange überwunden ist. Diese Bürger finden zu Hause für ihre zivilrechtlichen Anliegen kein Sprachrohr. Sie empfinden den Aufstand des EU-Parlaments gegen Buttiglione in ihrer übergroßen Mehrheit deshalb keineswegs als Skandal. MICHAEL BRAUN