Bitte nicht per Du

25 Jahre und länger hat er Bremer Politik beobachtet: Christian Siegel, Parlamentskorrespondent von Radio Bremen, ist seit heute im Ruhestand

Bremen taz ■ „Was mit Salzstangen“ werde es wohl noch geben. Auf seine Abschiedsfeier schien sich Christian Siegel nicht wirklich zu freuen. Der Parlamentskorrespondent von Radio Bremen hatte gestern seinen letzten Arbeitstag. Siegel, Jahrgang 1945, arbeitete seit 1972 beim Hörfunk von Radio Bremen, seit 1978 berichtete er aus der Bürgerschaft, mit kurzer Unterbrechung: 1991 bis 1995 berichtete er aus Hannover. Vor seiner Zeit beim Hörfunk hat er über Egon Erwin Kisch promoviert. Jetzt will der Fan italienischer Lebensart die Sprache des Landes lernen. Im taz-Interview sprach er über seine Arbeit. Übrigens: Der gestrige Tag soll dann doch noch sehr herzlich geworden sein.

taz: Haben Sie heute eine Träne im Knopfloch?Christian Siegel: Ich mache das jetzt 31 Jahre – insofern ist eine gewisse Ermüdung da. Sentimental bin ich nicht. Ich werde die Gespräche mit einigen Kollegen, vor allem aus der Kultur, vermissen. Aber Radio Bremen als Institution nicht.

Über ein Vierteljahrhundert lang haben Sie Bremer Politik beobachtet. Worin liegt für Sie die größte Veränderung in dieser Zeit?Ganz sicher in der Bildung der großen Koalition 1995. In den ersten vier Jahren haben SPD und CDU das auch gut gemacht. Wenn dieses Bundesland eigenständig bleiben will, ist die große Koalition die einzige Chance. Parlamentarisch ist das natürlich ganz anders zu bewerten – da ist die große Koalition eine Katastrophe. Die zweite große Veränderung: Die SPD regiert gottseidank nicht mehr alleine. Ich habe mich mal mit Hans Koschnick über die Zeit der SPD-Alleinregierung unterhalten. Die Parallele zwischen der SPD in Bremen und der CSU in Bayern war wirklich mit Händen zu greifen. Dem hat er nicht widersprochen.

Bremen ermöglicht große Nähe, auch zwischen Journalisten und Politikern. Wie ging es Ihnen damit?Ich halte mich da sehr zurück. Es gibt da eine Art Graben, eine Barriere: Die machen Politik, wir berichten. Ich verabscheue eines sehr: Kollegen, die geradezu wild danach sind, mit Politikern per Du zu verkehren. Ich habe immer großen Wert auf das Sie gelegt. Distanz ist notwendig.

Auf Pressekonferenzen waren Sie oft derjenige, der als erster scharfe Fragen gestellt hat. Ihre Berichte entsprachen aber dieser Schärfe nicht.Das ist verursacht durch die seit ein paar Jahren eingeführten Sendeformate: ein Bombardement von kleinen O-Tönen, kein Platz mehr für längere Beiträge, Schnippsel-Journalismus. Da ist eine persönliche Handschrift nicht mehr drin.

Jüngere Kollegen würden sich über den „Schnippsel-Journalismus“ sicher ähnlich beklagen. Worin sehen Sie die Unterschiede zwischen sich und der nächsten Reporter-Generation?Sie sind nicht hungrig genug. Sie wollen nicht genug wissen. Die meines Erachtens beklagenswerte Folge: Das Gegenüber kann ihnen im Interview erzählen, was es will.

Über Sie heißt es im Dunstkreis von Radio Bremen, Sie seien „unsteuerbar“. Empfinden Sie das als Kompliment?Weiß ich nicht. Wenn ich etwas für wichtig halte, finde ich, muss darüber berichtet werden. Ich habe darauf leider viel zu selten Reaktionen erfahren. Vielleicht ist dadurch dieser Eindruck entstanden. „Unsteuerbar“ –ich habe das nicht so empfunden.

Fragen: Susanne Gieffers