Mal machen lassen

Der Erfolg eines Unternehmens hängt stark von der Zufriedenheit seiner Mitarbeiter ab. Die wollen vor allem mit ihrer Arbeit ernst genommen werden. Dialogische Führung ist ein Instrument dazu

Auch Chefs haben es nicht leicht: Die Mitarbeiter durch Druck zu Höchstleistungen anzutreiben, mag früher vielleicht gereicht haben. „Der Erfolg eines Unternehmens steht heute mehr denn je in Zusammenhang mit seiner Führungskultur“, weiß Götz W. Werner, Geschäftsführender Gesellschafter der Kette dm-drogerie markt (dm). Führung heißt für Werner: „Bewusstsein wecken mit dem Ziel, möglichst viele Mitarbeiter in eine unternehmerische Disposition zu bringen.“ Dabei spielt auch die Anthroposophie eine Rolle: das „zunehmende Wachwerden für andere Menschen, für gesellschaftliche Verhältnisse und für neue Situationen“. Erreicht werden soll das mit „Dialogischer Führung“.

Die dialogisch geprägte Unternehmenskultur haben Karl-Martin Dietz und Thomas Kracht, Leiter des Hardenberg-Instituts in Heidelberg, entwickelt. Seit 1993 begleiten sie dm mit Beratung, Workshops und Seminaren. Das Prinzip der Dialogischen Führung ist dabei Stück für Stück gewachsen. „Es ist ein Kind des Instituts“, sagt Kracht. „Ein zentraler Punkt ist die Zufriedenheit der Mitarbeiter.“ Jeden Einzelnen als Individuum ernst zu nehmen habe zur Folge, dass dessen Fähigkeiten und sein guter Wille allen zugute kämen.

Motivationsprogramm im klassischen Sinne soll Dialogische Führung nicht sein. Selbstmotivation und Selbstführung sind das Ziel. Jeder Mitarbeiter soll weitgehend eigenständig handeln können. „Das Ganze ist kein starres System“, betont Kracht. Da sich die Umstände in der Praxis ständig ändern – etwa mit neuen Kommunikationstechniken wie E-Mail –, müsse immer wieder, von Fall zu Fall, Neues bedacht werden. In der langjährigen Unternehmensentwicklung, so Kracht, „gibt es beizeiten auch Rückschläge“.

Aber Erfolgsmeldungen gibt es ebenfalls zu verbuchen: Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB) verlieh dm den Weiterbildungs-Innovations-Preis 2003. Mit dieser Auszeichnung werden innovative und zukunftsweisende Bildungsideen prämiert. Die Basis der Aus- und Weiterbildung bei dm ist das Lernen in der Arbeit, kurz LidA genannt. Es findet nicht in Kursen weit weg von der Praxis statt, sondern fast ausschließlich durch Handeln im Alltag der Filiale. Auf den klassischen Frontalunterricht verzichtet dm ganz. In den Werkstätten und Seminaren bestimmen die Mitarbeiter die Inhalte selbst, indem sie konkrete Fragen und Probleme aus der Praxis mitbringen.

Der – ebenfalls dialogisch geführten – Weleda AG aus Schwäbisch Gmünd überreichte Bundesfamilienministerin Renate Schmidt im Juli eine Auszeichnung: „Firmen müssen künftig stärker den Wettbewerbsvorteil einer familienfreundlichen Unternehmenskultur nutzen“, so die Ministerin. Von Angeboten zur Kinderbetreuung, neuen Arbeitszeitmodellen und einer familienbewussten Personalpolitik profitierten Unternehmen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gleichermaßen. Das Zertifikat beruht auf dem Audit Beruf & Familie, das die gemeinnützige Hertie-Stiftung initiiert hat.

„Ohne Wärme geht nichts“, sagt Uwe Urbschat, Leiter der Mitarbeiterentwicklung beim Kosmetikhersteller Weleda. „Der Mensch ist Mittelpunkt. Anstatt: Der Mensch ist Mittel – und Punkt.“ Deshalb gehören für ihn Elternfortbildung, Beratung und Coaching genauso zur Unternehmenskultur wie Kaffee-Ecken und eine gemütliche Kantine. Urbschat nennt vier Stufen, die auch den gemeinsamen Arbeitsalltag prägen: „Alles beginnt mit der Begegnung, dann wird durch Austausch Transparenz hergestellt. Darauf folgt die Beratung, bei der Optionen, Alternativen und Hypothesen erarbeitet werden. Der Endschluss öffnet den Blick auf Neues.“

Urbschat unterscheidet vier Führungsstile: Beim Vormachen und Mitmachen ist der Chef Vorbild. Beim Überwachen arbeiten die Mitarbeiter selbstständig, das Arbeitsergebnis wird kontrolliert. Unterstützende Führung bedeutet, dass der Chef als Gleicher unter Gleichen agiert und weniger vorgibt. Sein Ziel ist die begleitende Führung. Sie beschränkt sich auf Hintergrundbereitschaft, nur wenn Mitarbeiter oder Teams nicht mehr weiterwissen und um Hilfe bitten, ist der Chef zur Stelle.

„Dialogische Führung wird in der Wissenschaft als Begriff nicht verwandt“, wendet Ralf Brinkmann ein. Der Professor für Wirtschaftspsychologie an der Fachhochschule Heidelberg hält das Konzept mit dem schönen Namen für „alten Wein in neuen Schläuchen“. Konflikte gemeinsam zu lösen und Gesprächsbereitschaft im Arbeitsalltag seien Prinzipien, die in den letzten Jahren weite Verbreitung gefunden hätten. Letztlich ist es egal, welchen Namen das Konzept trägt. Hauptsache, die Mitarbeiter fühlen sich wohl damit. LARS KLAASSEN

Karl-Martin Dietz, Thomas Kracht: „Dialogische Führung. Grundlagen – Praxis – Fallbeispiel: dm-drogerie markt“. Campus Verlag, Frankfurt/New York 2002, 28,50 €