Kein Ohr für Migranten

Weltmusik sei nicht nur Volksmusik für Konzertsäle, so Vertreter der interkulturellen Arbeit bei einer Diskussion im Rahmen der WOMEX. Die Musik von jungen Migranten müsse mehr gefördert werden

Migranten müssen ein Teil des Kulturetats zur Verfügung gestellt bekommen

AUS ESSEN NATALIE WIESMANN

Weltmusik eint nicht, sie spaltet. Diesen Eindruck hat eine Podiumsdiskussion im Rahmen der Musikmesse World Music Expo (WOMEX) auf Zollverein Essen hinterlassen. Unter dem Motto „Die Welt macht Musik – macht NRW mit?“ wollte das NRW-Kultursekretariat aus Wuppertal über künftige Fördermöglichkeiten im Genre Weltmusik reden. Schon die Besetzung der Bühne sorgte für Ärger. „Warum haben sie keinen Vertreter von Funkhaus Europa eingeladen?“, beschwerte sich eine Expertin aus London beim Moderator von WDR 3. Wenn sie an Weltmusik in NRW denke, falle ihr als erstes die sechste Welle des WDR ein, die sich mit ihrem Programm auch an Migranten richte.

Und die Vertreter des Kultursekretariats, das die theatertragenden Städte in NRW vertritt, Landesmusikrat und Folkwang-Hochschule konnten tatsächlich nicht über polnische Popmusik oder türkischen HipHop diskutieren, die nicht nur bei Funkhaus Europa, sondern auch auf der WOMEX ihren Platz haben. Wir wollen hier Weltmusik als „ethnische Musik“ verstanden wissen, formulierte Christian Esch, Musikwissenschaftler und neuer Direktor in Wuppertal, wohl auch aus mangelndem Wissen über alternative Strömungen. Durch die Landes-Initiative „3. Ohr“ solle vermehrt ethnische Musik an die klassikgewöhnten deutschen Ohren herangetragen werden. „Wir müssen einen angemessenen Dialog über Hörgewohnheiten führen“, forderte er. Auch Martin Pfeffer, Leiter der Folkwang Hochschule in Essen, setzte eher auf eine langjährige interkulturelle Musikerziehung, welche eine „spontane Einfühlung“ vermeiden soll, die wiederum zu „Missverständnissen“ führe.

Das Publikum wollte dem musiktheoretischen Diskurs auf dem Podium nicht weiter folgen. „Hörgewohnheiten zu verändern ist nur eine Sache“, sagte Claudia Kokoschka vom Kulturbüro. Für die 40 Prozent jugendliche Migranten in ihrer Stadt sei es aber wichtiger, die soziokulturellen Zentren für ihre Musik zu öffnen. Im Publikum gärte es: „Die Ressourcen, die Migranten durch ihre Steuergelder seit Jahrzehnten auch im Bereich der Kultur aufgebracht haben, müssen endlich auch ihnen zur Verfügung stehen,“ rief ein Besucher dazwischen.

Auch Tina Jerman, Eine-Welt-Beauftragte in NRW, sieht da kaum Bewegung. „Wir waren bei der WOMEX vor zwei Jahren am gleichen Punkt wie heute und werden in zwei Jahren kein Stück weiter sein“, sagte sie zur taz. Um ein musikalisches Angebot für alle Bewohner dieses Landes zu erstellen, müssten Vertreter der Kulturanstalten endlich auch Musikexperten nicht-deutscher Herkunft einbeziehen. Auch in dieser Runde sei wieder keiner vertreten gewesen.

Ein Musikdozent türkischer Herkunft saß mitten im Publikum. Er griff direkt Landesmusikrat Werner Lohmann an, der früher Rektor der Musikhochschule Köln war. „Als ich vor vielen Jahren mit meiner Baglama zu ihnen kam, haben sich mich weggeschickt. Sie hätten mich wenigstens bitten können, ihnen drei Minuten etwas vorzuspielen.“ Er selbst musste an einem Istanbuler Konservatorium sein Instrument studieren und lässt sich nun in Deutschland ausbeuten: Er doziert seit vier Jahren unentgeltlich an der Kölner Musikhochschule.