Präsentierteller als Gartenersatz

Das Etikett „spießig“ zählt nicht mehr: Obwohl sie sich einem detaillierten Regelwerk unterwerfen müssen, ziehen wieder zunehmend junge Leute in die Kleingartenkolonien. Und noch immer gibt es Hamburger, die dort wohnen

von Sandra Pingel

Ingeborg Lange ist in einem Kleingarten aufgewachsen. Noch als junge Frau, Anfang der sechziger Jahre, wohnte sie mit ihren Eltern und Geschwistern in der Kolonie Kleinworth in Lurup. Wie ein „geschniegelter Lackaffe“ sei ihr Mann damals um die Laube ihrer Eltern geschlichen, erzählt Ingeborg Lange. Dieter Langes Werbungsversuche hätten den zukünftigen Schwiegervater so manches Mal in Rage gebracht. Am Ende durften die beiden aber doch heiraten.

Seit 1969 kommen die Langes in ihren eigenen Sommergarten. „Damals war das Aufgebot noch Voraussetzung, um eine Parzelle zu bekommen“, erinnert sich der pensionierte Brandinspektor. Die Kinder sind hier aufgewachsen. Heute kommen sie mit den eigenen Kindern.

„Rund 41.000 Mitglieder teilen sich in Hamburg 34.000 Parzellen, auf einer Fläche, die dreimal so groß ist wie die Außenalster“, sagt Roger Gloszat vom Landesbund der Gartenfreunde. Für die besonders attraktiven Kolonien in Alsternähe gibt es Wartezeiten von bis zu zwei Jahren, während in anderen Kolonien am Stadtrand sofort eine Parzelle zu bekommen ist. Kleingärten trügen zur Festigung des sozialen Gefüges und der Integration von Ausländern bei und förderten die Gesundheit. „Alte Leute leben in Kleingärten auf“, sagt Wolf-Gerhard Wehnert, Geschäftsführer des Landesbundes.

Ingeborg und Dieter Lange nutzen ihren Schrebergarten nur noch tagsüber und bei gutem Wetter. „Früher haben wir den Sommer über praktisch hier gewohnt“, erzählt Dieter Lange. „Damals sind wir höchstens mal zum Wäschewaschen nach Hause gefahren oder um die Post reinzuholen.“ Besonders jetzt, wenn die Tage kalt und kurz werden, zahlt es sich aus, dass der Garten einen Katzensprung von der Wohnung entfernt ist. „Wenn Regen aufzieht, sind wir schnell wieder im Warmen“, sagt der 63-Jährige.

In der Kolonie gibt es noch immer Dauerbewohner, wie Ingeborg Langes Bruder, der auf der Parzelle nebenan lebt. „Nach der Zerstörung Hamburgs im Zweiten Weltkrieg waren die Behelfsheime für die Stadt nur von Vorteil“, sagt Gloszat. Die Stadt habe weniger neue Wohnungen schaffen müssen. Bis 1967 war der Einzug in die Kleingärten erlaubt. Heute würden noch 800 bis 1.000 dieser ehemaligen Behelfsheime „ausgewohnt“, wie es im Behördenjargon heißt.

Derzeit wächst eine neue Generation von Schrebergärtnern heran. Was früher als spießig galt, wird gerade bei jungen Familien, auch wenn sie aus dem links-alternativen Milieu stammen, immer beliebter. Und das, obwohl sich Neupächter als Erstes durch einen Paragraphendschungel arbeiten müssen. Die Satzung des Landesbundes gibt genauestens an, wie viel Nutz- und Zierwirtschaft betrieben werden darf. Es gibt Vorschriften darüber, wie hoch, breit und lang die Laube sein darf. Tiere sind verboten.

Selbst die Höhe der Hecken ist vorgeschrieben: Die Kleingärten sollen für die Allgemeinheit da sein und müssen deshalb von den Wegen aus einsehbar sein. Für Bauland gelten andere Regeln. Das ist aber auch nicht für rund 300 Euro im Jahr für durchschnittlich 300 Quadratmeter zu pachten.

Die Langes residieren noch auf 700 Quadratmetern. Ihre Laube hat einen Keller. Früher war das kleine Gebäude sogar mit Toilette und Badewanne ausgestattet. Ein paar Tomatenpflanzen stehen noch neben der Laube, und an einem knorrigen Apfelbaum reifen die letzten Früchte. „Früher haben wir hier viel Gemüse angebaut, aber das kann ja kaum noch einer essen“, sagt Ingeborg Lange mit Blick auf ihren großen Rasen.

Einige Parzellen weiter sieht das Bild ganz anders aus. Ein Paar zupft das Unkraut aus gepflegten Gemüsebeeten. Hier wachsen Bohnen, Kartoffeln und Möhren. Die Parzelle 912 a lädt Besucher mit den Worten ein: „Herzlich Willkommen, Sie haben soeben die BRD verlassen und befinden sich in der Oase des Friedens. Schlechte Angewohnheiten sind in der BRD zurück zu lassen.“ Die angrenzende Straße hört man hier nicht.