Jenseits von Afrika

Es gibt noch einiges zu klären, in dieser neoliberalen Scheiße hier: René Pollesch schreibt mit „1000 Dämonen wünschen dir den Tod“, dem großartigen ersten Teil seiner Prater-Saga, sein Projekt eines Volkstheaters für Intellektuelle fort

Im Grunde macht René Pollesch Volkstheater. Volkstheater für Intellektuelle, Volxtheater. Alle Attribute, die für die Millowitsch-Bühne in Köln gelten, könnte man auch auf Polleschs Prater anwenden: Es ist Mundart-Kunst, die Identifikation des Publikums mit dem Stück funktioniert in erster Linie über eine bestimmte Sprache, in diesem Fall das Postcolonial-urban-visual-Gender-Studies-Sprech, wie es in der Nähe einiger Buchläden und Diskussionsgruppen oder an den Rändern der geisteswissenschaftlichen Institute einiger Universitäten gepflegt wird. Es ist ein gaggetriebenes Theater, das immer wieder an den gleichen Stellen zum Lachen auffordert. Es ist – zumindest im Fall des ersten Teils der Prater-Saga „1000 Dämonen wünschen dir den Tod“ – ein Theater, das mit denkbar einfachen Mitteln operiert, vier Schauspielern, einer Couch und einer Tür.

Das ist es auch, was die Stücke immer wieder so großartig macht. Wie etwa „1000 Dämonen wünschen dir den Tod“, das am Donnerstag im Prater der Volksbühne Premiere hatte. Das Stück spielt im ghanaischen Accra, und als grober Rahmen dient die Villa von Bigman (Martin Wuttke), die dieser als Drehort an Twopence-Twopence (Elisabeth Rolli) vermietet hat, eine Produzentin von Videofilmen. Diese billig produzierten Filme, das weiß man als Leser kulturwissenschaftlicher Schriften und Teil des Sprachspiels, sind seit rund zehn Jahren Leitmedium der Verständigung über afrikanische Stadterfahrung, ein Leben in den Fetzen europäischer Stadtvorstellungen. Doch das ist eigentlich der Festschreibung schon viel zu viel.

Denn genau wie Pollesch sich für diese Filme interessiert, weil sie mit ihren einfachen Plots und komplizierten Zeichensystemen eben nicht nur von Voodoo handeln, sondern in ihrem Synkretismus selbst viele Voodoo-Elemente übernehmen, so lässt er auch sein eigenes Stück funktionieren. Das Leben findet zwischen Kulissen statt, im Sprung von Ebene zu Ebene. Und deren gibt es eine Menge: Da gibt es die realen Schauspieler auf der Bühne, die Charaktere, die sie darstellen, die Diskurse über die Charaktere, die sie ebenfalls darstellen, auch die Diskurse darüber – es gibt eine Menge zu klären in dieser neoliberalen Scheiße, in der wir alle stecken. Warum will ich das Leben, das ich eigentlich verabscheue? Was ist eigentlich eine Couch, die für Dreharbeiten geliehen wird? Eine Sitzgelegenheit? Ein Liegemöbel für imaginäre Beziehungen? Ein Symbol? Wenn ja, wofür? Für eine zentrale Rolle bei der Durchsetzung kleinbürgerlicher Dominanzstrategien? Diese Überlagerungen der verschiedenen Ebenen gehen bis in die Betonung der Sätze selbst hinein, dieses genau getimte Lauter-und-wieder-leise-Werden, das sich kontrapunktisch zum Inhalt verhält.

Liest man die Auszüge eines solchen Textes im Programmheft, möchte man schon nach wenigen Zeilen aufhören, hört man sie von der Bühne, ist man ständig hingerissen von ihren Dynamiksprüngen und Tempuswechseln. Was natürlich auch und vor allem ein Verdienst der wunderbaren Schauspielerinnen und Schauspieler ist. Neben Wuttke und Rossi sind das in „1000 Dämonen wünschen dir den Tod“ Volker Spengler (dessen Dirigentenpantomime tatsächlich in einem Boulevardtheater genauso funktioniert hätte) und Christine Groß.

Wobei Pollesch interessanterweise seinen Darstellern von Stück zu Stück mehr Charakter zumutet. Kamen seine frühen Werke ganz ohne erkennbare Personen im engeren Sinne aus und bestanden sie im Wesentlichen aus Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs, so hat „1000 Dämonen wünschen dir den Tod“ nicht nur einen Hauptdarsteller: Es ist auch noch ein Mann. TOBIAS RAPP

Nächste Aufführungen: Heute sowie Do. u. Fr., den 4. und 5. Nov., jeweils 20 Uhr. Prater, Kastanienallee 7–9