Hoffnung im Schildkröten-Reich

Wie auf der ganzen Welt sind die schwimmenden Panzertiere auch im Süden Thailands vom Aussterben bedroht. Auf der idyllischen Insel Koh Prathong gibt es die Möglichkeit, einer Naturschutzorganisation über die Schulter zu schauen

VON VOLKER KLINKMÜLLER

Wie war das doch gleich in jener illustren Walt-Disney-Produktion „Findet Nemo!“ – wer hatte darin wesentlich zur erfolgreichen Zusammenführung der Clown-Fisch-Familie beigetragen? Genau. Es waren die Meeresschildkröten. Doch die Idylle des Zeichentrickfilms täuscht: In Wirklichkeit sind es diese urtümlich-putzigen Panzertiere selbst, die gerettet werden müssen.

Denn Schildkröten gelten nicht nur als Sympathieträger, Glückssymbole und Fabeltiere, sondern auch als Schildpatt-Lieferanten für exklusiven Schmuck, potenzfördernde Delikatessen und vor allem als Beifang. Das ist auch im Süden Thailands zu spüren. Obwohl die Meeresschildkröten des Königreichs schon 1975 unter Schutz gestellt worden sind, gibt es kaum noch nennenswerte Bestände. Auf der verborgenen Insel Koh Prathong engagieren sich Menschen dafür, den Fortbestand dieser Spezies zu sichern.

Es verwundert, dass sich Koh Prathong noch nicht als Reiseziel herumgesprochen hat. Ein rund sieben Meter tiefer Meeresgraben trennt bei der Ortschaft Kuraburi, an der Südwestküste Thailands gelegen und zur Provinz Phang Nga gehörend, die Insel vom Festland und bildet eine idyllische, weitgehend unberührt wirkende Meereslandschaft. Die Ostküste von Koh Prathong wird von ausgedehnten Mangrovenwäldern geprägt. Im Inneren gibt es wilde Orchideen und fleischfressende Pflanzen, hundert verschiedene Vögel, Affen, Sambahirsche und sogar eine endemische Storchenart.

Besondere Bedeutung kommt jedoch den selten gewordenen Meeresschildkröten zu, die hier von November bis April ihre Eier im Sand vergraben. Nachdem andernorts kaum noch Nester gefunden werden, ist Koh Prathong zu Südthailands wichtigster Region für die Eierablage avanciert. Im „Ban Dhau“, dem Haus der Schildkröte, haben Mitglieder und freiwillige Helfer der italienischen Naturschutzorganisation Naucrates ihre Erlebnisse und Erkenntnisse mit den Meeresschildkröten dokumentiert. Auf einer Tafel am Eingang stehen die Nestfunde der letzten Monate. Die Unechte Karettschildkröte, die rund 30 Jahre bis zu ihrer Geschlechtsreife braucht, findet sich nicht mehr darauf. Sie ist in Thailand bereits ausgestorben.

Auch die Lederschildkröte wurde hier schon seit zwei Jahren nicht mehr gesichtet. Innerhalb der letzten 20 Jahre ist die weltweite Zahl dieser riesigen Panzertiere um 97 Prozent gesunken. Wurden in den 80er-Jahren nach Angaben der Umweltstiftung „World Wide Fund for Nature“ (WWF) allein im östlichen Pazifik rund 90.000 brütende Weibchen gezählt, sind davon heute nur noch etwa 2.000 übrig. Experten befürchten, dass diese Spezies schon in zehn Jahren vom Planeten verschwunden sein könnte. Schuld ist vor allem die moderne Fischerei-Industrie mit ihren Fangmethoden, die rund 250.000 Tieren pro Jahr zum tödlichen Verhängnis werden.

Obwohl mit den Haken eigentlich nur Thun- und Schwertfische geködert werden sollen, beißen auch Schildkröten an und werden oft verletzt ins Meer zurückgeworfen. Zahlreiche Artgenossen ersticken in Schleppnetzen, da sie zu lange unter Wasser gedrückt werden und ertrinken. Auch die fortschreitende Umweltverschmutzung fordert viele Opfer. Zu den Lieblingsspeisen der Tiere zählen Quallen, welche sich oft schlecht von den im Meer treibenden Plastiktüten unterscheiden. So verenden viele Schildkröten nach dem Herunterwürgen von Kunststoffbeuteln oder Schaumstoffen an Verdauungsstörungen. Der Echten Karettschildkröte indes ist ausgerechnet ihr Verteidigungsschild zum Verhängnis geworden: Der illegale Handel mit dem wertvollen Schildpatt ihres stabilen Panzers hat sie an den Rand der Ausrottung gebracht.

Wenn auf Koh Prathong die Sonne aufgeht, schwärmen die Naturschützer von Naucrates zu ihren Patrouillen aus, die den gesamten Strandbereich abdecken. Es gilt, frisch entstandene Schildkrötengelege aufzuspüren, um sie vor Dieben zu schützen: Raubvögel, Affen und Warane, aber sogar Hunde, Katzen und Krabben gehören zu den natürlichen Feinden des Nachwuchses. Mitunter müssen die Nester auch verlegt werden, um sie vor möglichen Hochwasserfluten zu retten. Sie umfassen rund 80 bis 150 Eier, die bis zu 50 Zentimeter tief im Sand verscharrt worden sind und von der heißen Sonne binnen sechs Wochen ausgebrütet werden. „Seit wir 1996 mit der Beobachtung und Bergung begonnen haben, konnten wir schon über 2.000 Babys sicher ins Meer geleiten“, freut sich Monica Aureggi, Gründerin der Organisation „Naucrates“.

Dass die junge Generation der Inselbewohner ein Bewusstsein für die Schildkröten entwickelt, ist ein Bestandteil des Schutzprogramms. Schließlich könnte sie eines Tages sogar von den Schildkröten leben: Wie der WWF in einer Studie errechnet hat, bringen Öko-Touristen, die zur Beobachtung der Meeresbewohner anreisen, der örtlichen Bevölkerung dreimal mehr Geld ein als der Handel mit Schildpatt, Fleisch und Eiern der bedrohten Tiere. Weltweit würden rund 175.000 Menschen Ausflüge in die Lebensräume der Meeresschildkröten unternehmen.

Am Touristenstrom zumindest dürfte es Koh Prathong bald nicht mehr mangeln. Unter dem Werbemotto „Happiness on Earth“ erwartet die thailändische Touristenbehörde TAT für das kommenden Jahr 13 Millionen Ausländer. Das sind immerhin rund 15 Prozent mehr als in 2004 – und ab 2008 sollen jährlich sogar 20 Millionen Touristen in das Königreich gelockt werden. „Bei uns hier brauchen wir aber unbedingt eine kontrollierte Entwicklung“, betont Monica Aureggi.

Dass Koh Prathong von der TAT neuerdings als „Unseen Thailand“-Destination vermarktet wird und bereits zwei weitere Hotelanlagen im Bau sind, erfüllt die Naturschützer mit Sorge. Denn die touristische Hochsaison fällt hier ausgerechnet mit der Brutzeit zusammen. „Schon ein einzelner Besucher“, so Monica Aureggi, „kann dem Ökosystem mehr Schaden zufügen, als er sich vielleicht vorstellt.“ Obwohl Touristen den Strand nur tagsüber bevölkern und Schildkröten ausschließlich nachts zur Eierablage aus dem Meer kriechen, können sich beide leicht ins Gehege kommen: Schon der Schein künstlichen Lichts – hervorgerufen durch einen Autoscheinwerfer oder eine Taschenlampe – kann genauso empfindliche Störungen verursachen wie ein nächtliches Liebespaar oder ein frühmorgendlicher Jogger. Sonnenschirme können sogar auch tagsüber schaden, wenn ihr Schatten den von der Sandtemperatur abhängigen Brutprozess beeinflusst. Fällt diese längere Zeit unter 30 Grad, schlüpfen naturgemäß mehr männliche als weibliche Schildkrötenbabys.

Um Südthailands Meeresschildkröten eines Tages wieder – wie im Film „Findet Nemo!“ – scharenweise durch die Fluten schwimmen zu sehen, hat Supot Chantrapornsin vom „Phuket Marine Resources Research and Development Institute“ vorgeschlagen, die Fischerei-Schutzzonen im Bereich von Brutgebieten auf 6 Meilen zu verdoppeln. Schon jetzt zieht mancher Fischer recht gut mit, indem er die von seinen Netzen verletzten Tiere abliefert.

Die Fischer von Koh Prathong indes haben die 1998 begonnenen Bemühungen des thailändischen Forstministerium vereitelt, ein Gebiet von 296 Quadratkilometer Wasser und 329 Quadratkilometer Land zu Thailands 23. Meeres-Nationalpark zu erklären – und zerstörten während einer wütenden Protestaktion im Mai 2003 das provisorische Nationalpark-Büro auf ihrer Insel. Dies jedoch muss nicht unbedingt zum Nachteil der Schildkröten gewesen sein: Wie sich unter anderem an den Negativbeispielen der Phang-Nga-Bucht, der Koh Phi Phi oder der einst paradiesischen Surin-Inseln zeigt, beginnt eine Region in Thailand erst dann richtig zu boomen, wenn sie zu einem Nationalpark erklärt worden ist.