„Wie gut bin ich als Vorbild?“

Grundschulrektorin Inge Hirschmann meint, Eltern sollten klare Regeln setzen

INGE HIRSCHMANN, 57, ist die Schulleiterin der Heinrich-Zille-Grundschule in Berlin-Kreuzberg.

Auch wenn man nicht alle Eltern über einen Kamm scheren kann: Als Lehrerin merke ich, viele sind unsicher darüber, wie stark man heute noch die Erziehungsrolle wahrnehmen muss. Dabei funktionieren Regeln bei mir in der Schule sehr gut.

Bei manchen Eltern fehlt schlicht der Bildungshintergrund, bei anderen ist der Beruf sehr fordernd. Und die, die keinen Beruf haben, sind sehr mit ihren Problemen beschäftigt und schaffen vieles bei der Kindererziehung nicht. Viele Eltern sind aber auch bewusst lockerer als ihre eigenen Eltern. Sie wollen sich davon abgrenzen, wie streng sie selbst erzogen wurden. Leider pendelt es sich dann aber manchmal nicht richtig ein, wenn Eltern ihre Kinder willensstark und durchsetzungsfähig erziehen wollen: Wenn nämlich die Kinder und Jugendlichen das dann ausnutzen und sich durchsetzen, um vorm Fernseher zu sitzen oder Ungesundes zu essen. Gerade wenn wir in der Schule einen Elternabend zu Fernsehkonsum und Computerspielen oder gesunder Ernährung machen, werden alle Eltern sofort hellhörig. Leider können wir aber nicht zu jedem Thema mit allen Eltern gleich reden.

Wir haben in Berlin-Kreuzberg eine große soziale Spannbreite. Beim Fördern von Leseinteresse müssten wir fast getrennte Abende für die Mittelschicht und sozial Benachteiligte machen.

Vielen Eltern fällt es heute schwer, Grenzen zu ziehen. Manche Eltern müssen sich auch an die eigene Nase fassen: Wie gut bin ich als Vorbild? Sie müssen unterscheiden, ob man den Kindern etwas nur durchgehen lässt, weil es bequem ist, oder ob man wirklich meint, dass das Kind durch eine Entscheidung selbstbewusster und erwachsener wird. In der Schule setze ich klare Regeln. An vielen Stellen könnten auch Eltern aufhören mit dem vielen Erklären, sondern einfach sagen: Ich möchte das nicht.

Als Lehrer können wir nur bedingt reagieren, das ist ein Zeitfaktor. Gleichzeitig merke ich aber auch in Einzelgesprächen mit Eltern, dass sie sich angegriffen fühlen, wenn man fragt: Das Kind lernt nicht gut – geht es rechtzeitig ins Bett? Es gibt ein großes Misstrauen, als würde die Schule alles falsch machen. Wir sind weggekommen vom Gefühl, dass Eltern und Lehrer gemeinsam über Erziehung reden möchten.

PROTOKOLL: NICOLE JANZ