Flucht nach Kalau

Eine flauschige Spielfassung von Shakespeares Spätstück „Wintermärchen“ in der Shakespeare Company

Ein klares Blau steigt sanft hinan, begegnet, bevor‘s sich mit dem Himmelsprospekt paart, einer kleinen Burg. Sie ist in zartes Rot getaucht und sieht ein wenig traurig aus, wie ein zur beinahen Unkenntlichkeit zerschmolzener Schneemann. Auf die Melancholie der Bühne zu, in schwerem Rock, geht Leontes, der alte König. Langsam erklimmt er die Stufen, hält eine Muschel an sein Ohr. Es rauscht, doch er scheint in sich selbst hineinzulauschen. Der Alte legt die Muschel auf die schräge Bühne, wo der junge Leontes sie finden wird. Die Bühne wird dann in sandigem Gelb erstrahlen. Wir sind an den Gestaden seines Reichs, Sizilien. Und: Wir sind in Leontes Erinnerung.

Er, der ein besonnener Herrscher hatte sein wollen, wird später sagen, dass „ich niemals loskommen werde von meiner Schuld, die so gewaltig ist, dass sie dem Reich den Erben nahm“. Was ist passiert? Er scheint es selbst kaum zu begreifen, rauft sich das kurze graue Haar und sitzt still. Michael Vogel inszeniert das „Wintermärchen“ – wie der „Sturm“ gehört es zu den späten Stücken Shakespeares, die auf eigentümliche Art abgeklärt und wundergläubig zugleich daherkommen – als Maskenspiel. So entstehen Langsamkeit und Statik, die durchaus mit dem existenziellen Ringen um Zeit, Schuld und Selbst korrespondieren. Oder: damit korrespondieren könnten.

Anders als die Königsdramen folgt das Spiel auf der beispielhaft aufgeräumten, nur dann und wann mit präzis in Szene gesetzten Zeichen versehenen Bühne Heike Neugebauers einer antiken Mythenmechanik. Die Geschichte um den König, der seine Gemahlin und den besten Freund des gemeinschaftlichen Ehebruchs zeiht, beide verstößt und am Ende trotz der fröhlichen Auflösung aller Konflikte an seiner Schuld leidet, bleibt stets überschaubar. Die Masken, die den fünf DarstellerInnen schnelle Rollenwechsel ermöglichen, machen das Märchen zu einer Art Lehrstück.

Doch immer wieder flüchtet das Ensemble nach Kalau, bleiben die Ruheplätze, die das Maskenspiel bereithält, unaufgesucht. Wo Blut fließen müsste, sagt man: „Schade...“, wo Bösartigkeit das Wort führen könnte, regiert das Zotige. Der Konflikt um das herrschaftliche Wort, das – und sei es noch so falsch, wie schlussendlich ein Orakel bestätigt – Gesetz ist, das sprachverliebte Spiel mit der beinahe freudianisch anmutenden Nähe von Decken (Sex) und Entdecken (Wahrheitssuche), so manch guter Gedanke kuscht allzu vorauseilend vor dem Slapstick. So kapituliert das Stück vor seiner Inszenierung. Tim Schomacker

Die nächsten Termine: 6. und 20.11. sowie 3., 9. und 16.12., jeweils 19.30 Uhr.