Keine Zeit für Heiterkeit

Christina Paulhofer reduziert an der Schaubühne John Websters „Die Herzogin von Malfi“ auf ein Kampfspiel

Die Welt des englischen Dramatikers und Zeitgenossen Shakespeares John Webster ist keine heitere. Zu Lebzeiten einer der meistgespielten Dramatiker, ist es heute ein Drahtseilakt, seine blutigen Tragödien, in denen am Schluss nur übrig bleibt, wer zu unwichtig war, um ermordet zu werden, schlüssig auf die Bühne zu bringen. An der Schaubühne ist jetzt Christina Paulhofer mit ihrer Inszenierung von Websters 1614 in London uraufgeführten Rachetragödie „Die Herzogin von Malfi“ gescheitert.

Die Wände im riesigen Saal A der Schaubühne sind nackter Beton, an den vier Seiten sind metallene Laufstege und ein Gitter aufgebaut (Bühne Alex Harb). Wie ein Hochsicherheitstrakt wirkt die Kulisse, der Hofstaat läuft in Wärteruniform herum, und die Herzogin von Malfi und ihre Brüder sehen sich einer kalten und grausamen Welt ausgeliefert. Anders als in Websters Vorlage ist die verwitwete Herzogin (Ursina Lardi) hier keine selbstbewusste Herrscherin, die sehr modern ihr Liebesglück einfordert, sondern eher eine gelangweilte Tochter aus gutem Hause. Mit ihrem Zwillingsbruder Ferdinand (Lars Eidinger) verbindet sie in Paulhofers Inszenierung eine Art inzestuöses Verhältnis, das den beiden vergeblich über die innere Leere und Lieblosigkeit der Welt hinweghelfen soll. Wenn sie nebeneinander auf dem Steg sitzen und Ferdinand sie neckisch in die Brust zwickt, geschieht dies ganz aus kindlichem Übermut.

Auch als die Herzogin gegen das Verbot der Brüder den Tennis spielenden Haushofmeister und Tunichtgut Antonio (Ronald Kukulies) heimlich heiratet, passiert das eher aus mädchenhafter Neugier. Da ist es auch nur konsequent, dass der eifersüchtige Ferdinand zu seinem Rachefeldzug Mickymaus-Ohren anzieht und mit seinen martialischen Mitkämpfern einen Boygroup-Synchrontanz aufführt.

Die Figuren sind in diesen sehr körperlichen Choreografien wenig präsent, Videoprojektionen sollen ihre Sehnsüchte offen legen, die sie in der Realität nicht auszuleben wagen – etwa wenn die Herzogin die nackte Brust ihres Bruders befühlt – doch die Charaktere werden damit nicht vielschichtiger, sondern erst recht zur Staffage.

Vieles ist hier bloßes Abziehbild, der dandyhafte Kardinal (Kay Bartholomäus Schulze) etwa, der als schillernder Pate die Szenerie beherrscht, muss immer wieder mit seiner Mätresse rumturnen, um seine Dekadenz unter Beweis zu stellen. Einzig Robert Beyer als mörderischer Intrigant Bosola ist in seiner Rolle, die er wie ein korrekter Buchhalter des Todes ausführt, komplexer angelegt. Auch die Tanz- und Gesangseinlagen, wie etwa eine plötzlich hereinbrechende Kampfszene, in der mit Eisenstangen bewaffnet gefochten wird, während die Herzogin als platte Anspielung auf Prinzessinnensehnsüchte Stephanie von Monacos „Ouragan“ singt, machen den Leerlauf der Inszenierung nur noch anschaulicher.

Was Paulhofer in ihrer „Macbeth“-Inszenierung an der Schaubühne gelungen war, mit sinnlichen Bildern eine sehr kraftvolle Atmosphäre von archaischer Gewalt zu erzeugen, wird hier zur albernen Stilisierung. Gekämpft wird halt, weil hier gekämpft werden muss. Nach dieser Logik spielt es dann auch keine Rolle, dass Antonio seinen geliebten Freund Delio (David Ruland) völlig unmotiviert erschlägt. In dieser Welt, in der man sich sogar mit Tennisbällen umbringt, wirkt der Tod wie eine Erlösung. Als Ferdinand, der seine geliebte Schwester ermorden ließ, im Sterben liegt, ist er sichtlich erleichtert, dass nun alles vorbei ist. Und das ist eine Regung, die man als Zuschauer das erste Mal an diesem Abend nachvollziehen kann.

CHRISTIAN BERNDT

Heute und morgen sowie am 5. und 6. 11., Schaubühne am Lehniner Platz, Kurfürstendamm 153, Wilmersdorf