Der Biograf von Tanger

Er beschrieb die Beatniks und das Leben in der Gosse. So wurde Mohamed Choukri zum bekanntesten Autor Marokkos

Von Paul Bowles bis zu Jean Genet und Allen Ginsberg kamen sie alle nach Tanger – und bald wurde Mohamed Choukri zum Freund und Biografen der Literatenszene.

Dabei hatte Choukri, der Marokkos bekanntester Romanautor werden sollte, arabische Schriftzeichen erst mit 21 Jahren gelernt. Zunächst schrieb er Gedichte, um sich schließlich einer ganz persönlichen Katharsis zu stellen: In drei Bänden – „Das nackte Brot“, „Die Zeit der Fehler“ und dem bisher noch nicht auf Deutsch erschienenen „Gesichter, Lieben und Flüche“ – trug er zusammen, was ihm die wichtigste Schule seines Lebens beigebracht hatte, die Straße.

Choukri, geboren 1935, stammt aus einem kleinen Dorf des damals unter spanischer Verwaltung stehenden Rifgebirges. Mit brutaler Sachlichkeit erzählt er vom harten Leben am Rande der Gesellschaft: ein gescheiterter, aus der Armee desertierter Vater, der einen seiner Söhne im Wahn erdrosselt. Das Leben in den Gassen von Tanger, wohin die Familie schließlich umzieht. Die Flucht von zu Hause. Dann Schmuggel, Diebstahl, Drogen. Die Erfahrung mit Nutten ebenso wie mit der eigenen Prostituierung, um an homosexuellen Touristen ein paar Dollar zu verdienen. Keiner hat es wie Choukri verstanden, die dunkle, ausgegrenzte Seite der nordmarokkanischen Hafenstadt zu beschreiben, deren Cafés und Strände eine ganze Generation internationaler Schriftsteller als ihr Paradies entdeckte.

„Nacktes Brot“ wurde in 39 Sprachen übersetzt. Selbst auf Hebräisch ist es zu erhalten. Choukri ist damit nach Nagib Machfus der am weitesten verbreitete arabischsprachige Autor. Doch in Marokko wurde er nicht nur geliebt. Das 1973 verfasste „Nackte Brot“ war bis hinein in die Neunzigerjahre verboten. „Pornografie“ und „Respektlosigkeit vor den Eltern und der Religion“ wurde dem Werk vorgeworfen, das doch nur ein minutiöses Bild dessen bietet, was das nordafrikanische Königreich außerhalb kleiner Zirkel bis heute ist. Während ihm die Modernisten dafür zujubelten, verdammten ihn die Traditionalisten.

Zuletzt hatte Choukri eine große Sorge. „Der Fundamentalismus ist ein Drache, der aufgewacht ist“, warnte er immer wieder in Interviews, „es gilt ihn zu kontrollieren.“ Wenn er auf der Straße seines Tangers, das jetzt stramm islamistisch wählt, angepöbelt wurde, kam in ihm die Angst hoch, ein Fanatiker könnte ihn eines Tages ermorden.

Ausgerechnet dem sterbenden Choukri wurde jetzt die Anerkennung zu teil, die der lebende nie erfuhr. Auf Anweisung von König Mohamed VI. wurde der umstrittene Schriftsteller im Militärhospital in Rabat von den besten Ärzten behandelt. Doch Choukris Körper wollte einfach nicht mehr länger. Die Jahre in Armut wie die langen Nächte zwischen Alkohol, Tabak und sonstigen Freuden waren der Nährboden für seinen erschreckend klaren Realismus. Letztendlich verlangten sie ihren Preis. REINER WANDLER