Der Irakkrieg fordert 180.000 Tote

Eine wissenschaftliche Untersuchung geht von einer wesentlicher höheren Opferzahl durch Krieg und Besatzung aus als bisherige Erhebungen. 87 Prozent starben einen gewaltsamen Tod. Ein Drittel stammt aus Falludscha

GENF taz ■ Die Zahl der IrakerInnen, die infolge des Krieges vom Frühjahr 2003 und der seitdem anhaltenden Besetzung ihres Landes ums Leben gekommen sind, liegt bei mindestens 180.000. Sie ist damit bis zu zehnmal höher als alle bislang bekannt gewordenen Erhebungen. 87 Prozent der Opfer starben einen gewaltsamen Tod, davon wiederum 95 Prozent durch den Beschuss der US-geführten Invasions- und Besatzungsstreitkräfte. Bei den anderen 13 Prozent handelt es sich um natürliche Todesfälle wie etwa die erhöhte Säuglingssterblichkeit infolge von Infrastrukturproblemen.

Zu diesem Ergebnis kommt eine US-amerikanisch-irakische Wissenschaftlergruppe in einer Untersuchung, die Ende letzter Woche von der renommierten britischen Medizinzeitschrift The Lancet veröffentlicht wurde. „Die meisten der durch die Koalitionsstreitkräfte Getöteten waren Frauen und Kinder“, heißt es in der Untersuchung. Durchgeführt wurde sie von dem Epidemiologen der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, Les Roberts, zusammen mit Wissenschaftlern der Columbia-Universität, New York, und der Al-Mustansiriya-Universität, Bagdad .

Im September befragten die Wissenschaftler in 33 gleichmäßig im ganzen Land verteilten Stadtteilen je 30 willkürlich ausgewählte Haushalte nach Geburten und Todesfällen seit Januar 2002. Von 988 besuchten Haushalten erklärten sich 808 mit 7.868 Bewohnern bereit, an der Befragung teilzunehmen. Die Wissenschaftler verglichen den Zeitraum der knapp 15 Monate vor Kriegsbeginn (20. 3. 03) mit den knapp 18 Monaten seitdem.

In den befragten Haushalten gab es vor dem Krieg 46 Todesfälle. Seit Kriegsbeginn starben dort hingegen 142 Menschen. Unter Hochrechnung dieser Zahlen auf den gesamten Irak kommen die Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass sich die gesamtirakische Vorkriegs-Todesfallrate von 5 Toten auf 1.000 Menschen pro Jahr seit Kriegsbeginn mehr als verdoppelte – auf 12,3 Menschen. Ein Drittel der Todesfälle stammte aus der Stadt Falludscha, wo seit April schwere Kämpfe und fast täglich Bombardements durch US-Kampfflugzeuge stattfinden. Während vor dem Krieg über 90 Prozent aller Todesfälle im Irak natürliche Ursachen (zum Teil bedingt durch die UN-Wirtschaftssanktionen) hatten, ist die Wahrscheinlichkeit, einen gewaltsamen Tod zu finden, seither 58-mal höher als davor. Bisherige Erhebungen – unter anderem der Organisation „Irak Body Count“ – gingen von 13.000 bis 16.000 irakischen Ziviltoten und etwa 4.000 toten Soldaten seit Kriegsbeginn aus.

ANDREAS ZUMACH

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