„Die taz ist ein Affenbrotbaum“

Der ehemalige taz-Chefredakteur Arno Luik – Kulturjournalist des Jahres 2008 – findet, dass die Printzeitungen keinen Grund haben, Selbstmord zu begehen. Auf dem Kongress spricht er über die Zeitung von morgen

INTERVIEW JAN FEDDERSEN

taz: Herr Luik, Sie waren Mitte der Neunziger Chefredakteur der taz. Wie sehen Sie diese Zeitung heute?

Arno Luik: Früher war die taz so ’ne Art Affenbrotbaum und …

Möchten Sie uns das erläutern?

Eine Zeitung, die extrem wichtig ist, schlagfertig, außergewöhnlich. Frech. Überall stehen Tannen – langweilig. Ein Affenbrotbaum ist überraschend. Von diesem hat die taz einiges bewahrt.

Sie klingen enttäuscht?

Ich wünsche mir manchmal mehr von der taz, dass sie Vertrauen ins Wort hat, in lange Geschichten, in Analysen.

Geht es auch genauer?

Die taz muss wichtig sein, gerade in diesen Zeiten, in denen die Marktwirtschaft – unvorstellbar bis vor Kurzem – sich immer mehr zurückverwandelt in einen überwunden geglaubten Brutalkapitalismus. Darauf muss die taz reagieren. Sie ist doch gegründet worden als ein Organ der Gegenöffentlichkeit. Die taz muss also ein Organ mit Empathie für jene sein, die in der Krise leiden oder bald leiden werden.

Klassenkampf ahoi?

Wenn schon! Es geht um die Wirklichkeit, und diese wird merklich unangenehmer! Die taz muss darauf reagieren, also neue Gedanken denken, zur Diskussion stellen. Für die Menschen, die sich immer mehr als isolierte Wesen erleben und wieder lernen müssen, solidarisch zu handeln, was zum Teil übers Internet geschieht. Manchmal sind in der taz ja die Leserbriefe interessanter als die Artikel selbst. Die taz muss mehr an die Menschen ran.

Ach, Herr Luik – wer will denn dauernd über Armut lesen?

Das klage ich ja auch nicht ein, nein.

Was sonst?

Dass die taz den Wahnsinn, den wir erleben, noch wahrnimmt. Sensibel ist. Und nicht einfach durchwinkt wie die Nachricht neulich, dass der Expostchef Zumwinkel zwanzig Millionen Euro Pension erhält! Darauf muss die taz doch mit etwas Überraschendem reagieren. Millionen Menschen, viele junge Menschen sind von der Krise betroffen. Manche reagieren, manchmal ist es kreativ, oft irgendwie hilflos, viele stochern herum, suchen Wege. Ich hab’ für den Stern ein Gespräch gemacht mit jungen Leuten, sie nennen sich „Superhelden“. Sie suchen, wie sie sagten, „Orte des Reichtums“ heim, Edelsupermärkte oder Sternerestaurants, räumen die Buffets ab, verteilen ihre Beute an Arme. Das waren Leute, die haben einen undefinierten Zorn in sich. Das hätte eine Doppelseite in der taz werden müssen.

Ist das nicht Agitprop?

Wieso denn? Nein, Agitprop langweilt. Kennen Sie das alte Motto der BBC? „To inform, to entertain, to educate“ – und das auf möglichst unterhaltsame Art und Weise. Aufklärung. Das klage ich ein. Dass ich Dinge lerne, aber dies mit Spaß und Genuss und Verblüffung. Süchtig nach der taz soll man werden! Lesen soll keine Last sein, sondern Lust.

Die die taz nicht bereitet?

Die taz ist in Gefahr, zu mainstreamig zu werden. Aber Mainstream sind alle. Die taz kann im Idealfall ein Zugpferd sein für innovativen Journalismus, ein Glücksversprechen. Sie gehört den Leuten, die sie machen. Das ist doch das Tolle an der taz – Affenbrotbaum! –, dass sie umsetzen kann, was andere Medien kaum denken können, diesen alten Spruch der Black Panthers: „The sky is the limit.“ Ihr müsst jeden Tag den Himmel erreichen wollen.

Ist die Printzeitung nicht bald tot?

Dieses defätistische Gerede über das Zeitungssterben habe ich satt. Die Zeitungen in den USA gehen nicht wegen des Internets ein, sondern weil die Zeitungen kaputt gespart werden – um das Internet zu finanzieren!

Weil es konkurrenzlos schnell ist!

Na und? Soll sich der Hochgeschwindigkeitswahn im Internet austoben! Aber häufig bleibt das, was die Stärke der Zeitungen sein kann, auf der Strecke: Qualität. Wir erleben im Printbereich eine geradezu aberwitzige Form des kollektiven Selbstmords: Stellen Sie sich vor, Mercedes würde ein Auto bauen und dann jedem Käufer erzählen, es gibt ein anderes Fortbewegungsmittel, moderner, schicker, sexyer, jugendlicher – und das auch noch kostenlos. Und überdies würden fast alle Gewinne, die das Auto einfährt, in das neue andere Verkehrsmittel reingepulvert, bei gleichzeitiger Vernachlässigung des ursprünglichen Produkts. Das erleben wir aktuell.

Sie sprachen anfänglich vom Affenbrotbaum. Weshalb ist die taz einer?

Ein Affenbrotbaum im Blätterwald ist etwas Außergewöhnliches. Die taz hat alle Chancen, sie muss sie nur nutzen.