Breites Nein zur EU-Verfassung

Europäisches Sozialforum (ESF) in Paris lehnt Entwurf des EU-Konvents ab, weil dieser eine zu liberalisierte Wirtschaftspolitik festschreibt. Attac denkt über die Gründung „neuer politischer Kräfte“ nach. Verhältnismäßig wenig Teilnehmer aus Frankreich

aus Paris DOROTHEA HAHN

So umworben waren die „Altermondialistes“ – die GlobalisierungskritikerInnen – noch nie: Auf ihrem zweiten „Europäischen Sozialforum“ (ESF) in Paris diskutierten jetzt auch sämtliche größeren Religionsgemeinschaften mit. Zahlreiche Gewerkschaften schickten Entsandte. Und fast alle Parteien, Konservative, Sozialdemokraten, Kommunisten und auch die Trotzkisten, nahmen teil. In zahlreichen Veranstaltungen kritisierten die TeilnehmerInnen die europäische „Verfassung“ sowie die Angriffe auf die Renten- und Gesundheitsversorgung in allen Ländern und legten alternative Wirtschaftsmodelle für Europa und für die Europäische Zentralbank vor. Alle gemeinsam wollen Anfang nächsten Jahres einen europaweiten Aktionstag gegen Sozialkahlschlag organisieren. Zwar stehen Ort und Termin noch nicht fest, aber Deutschlands Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di wird auf jeden Fall mit dabei sein, versprach Ver.di-Chef Frank Bsirske.

In der maßgeblich an den Vorbereitungen beteiligten französischen Gruppe Attac fragt man sich, wie es nach dieem großen Erfolg weitergeht. Attac-Ehrenpräsident Bernard Cassen denkt bereits laut über die Gründung von „einer oder mehreren“ neuen politischen Kräften nach. Dass derweil die Organisatoren darüber grübeln, warum im Verhältnis zu den über tausende von Kilometern angereisten Gästen eher wenige FranzösInnen an den Veranstaltungen des ESF teilnahmen, fällt da kaum ins Gewicht.

Wesentliches Thema zahlreicher ESF-Veranstaltungen war die „Europäische Verfassung“. Das vom ehemaligen französischen Präsidenten François Giscard d’Estaing entwickelte Papier lehnen sie einmütig ab, da es den Wirtschaftsliberalismus für die EU langfristig festschreibe. Eine andere Wirtschaftspolitik, darunter die Einführung der Tobin-Steuer auf Währungsspekulation, aber auch die Rückkehr zu verstärkter staatlicher Investitionspolitik, wäre damit unvereinbar. Linke Gruppen sorgten am Rande des ESF für diverse Sonderaktionen: Das Sozialministerium der Republik wurde kurz besetzt, um gegen die Kürzungen der französischen Sozialversicherung für Theaterbeschäftigte zu protestieren. Ein leer stehendes Haus wurde übernommen, das fürderhin als Kontaktstelle für linke Kollektive dienen soll. Und 200 DemonstrantInnen blockierten die Büros der halbstaatlichen Fluggesellschaft Air France auf dem Prachtboulevard, wo sie „Des papiers pour tous“ – Papiere für alle – skandierten, um auf die Situation untergetauchter Asylbewerber aufmerksam zu machen und gegen die herrschende Abschiebepraxis zu protestieren.

Die mehr als 300 Veranstaltungen des ESF hatten allerdings höchst unterschiedliche Qualität. Manche fielen mangels Interesse schlicht aus. Andere mussten wegen Überfüllung geschlossen werden, darunter eine Diskussion mit dem italienischen Staatsrechtler und Vordenker der radikalen Linken, Antonio Negri, der nach seiner Rückkehr aus dem franzöischen Exil 1997 in Italien vorübergehend inhaftiert war, sowie eine Veranstaltung mit dem aus Genf angereisten Philosophen Tarek Ramadan, Star vieler verschleierter und religiös gewordener junger MuslimInnen in Europa.

Leider setzte sich auch beim ESF der Kongresswahn durch: Zu viele SprecherInnen auf den Podien und zu lange Einzelberichte aus ihren Ländern und Organisationen ließen für Debatten mit dem Publikum und für die Planung konkreter Aktionen oft keine Zeit.

Konstruktiver präsentierte sich beispielsweise die Arbeitslosenbewegung: „Das ist ein Kampfseminar“, eröffnete einer ihrer französischen Sprecher eine Runde. Bei der folgenden dreistündigen Debatte standen gemeinsame europäische Vorhaben im Raum: Forderungen nach einem „Existenzminimum“ für alle – auch für jene 20 Millionen EuropäerInnen, die gegenwärtig unterhalb der Armutsgrenze leben, sowie die Organisation eines Sternmarschs auf Rom, der für den 9. Mai 2004 geplant ist.