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trier an der nordsee von JÜRGEN ROTH

Vor einem Jahr hatte ich einen Artikel über die schöne Stadt Trier geschrieben, der der Zeitung, die ihn abdruckte, einen kleinen Batzen Abokündigungen bescherte. Ich verstand das nicht, beschloss aber, meine in Rollenprosa verpackten Urteile über die Verwahrlosung und die Drogensucht der Trierer einer zweiten Überprüfung zu unterziehen. „Komm ruhig, und zieh dich warm an!“, hatte mich daraufhin mein Gastgeber, Herr Janusch, ermuntert, und weil mein Zug erst mal nicht kam, nahm mich dann ein hocherfreuter Herr Janusch mit einer Dreiviertelstunde Verspätung in Empfang.

Nun wollten wir zum Fußball, die Trierer Eintracht spielte gegen Union Berlin. Die erste Halbzeit war allerdings fast gelaufen, weshalb Herr Janusch meinte, wir sollten meinen Kontrollbesuch mit ein paar Stubbis auf dem Bahnhofsplatz beginnen. Während wir die vornehmen Bierflaschen leerten, fielen um uns herum diverse Trierer zu Boden, und die verbliebenen Stehenden beschimpften die zwei einzigen schönen Frauen Triers, die gerade des Weges kamen.

„Dann können wir gleich zu Helge Schneider geh’n“, änderte Herr Janusch das Programm, „da kommen wir umsonst rein.“ Ich begriff den plötzlichen Planwechsel nicht recht, folgte meinem Führer jedoch durch die Innenstadt. Zügig passierten wir zwei Nordsee-Restaurants. „Ihr habt aber viele Nordseen hier“, sagte ich. Herr Janusch sagte: „Jetzt hast du auch exakt alle Trierer Nordseen geseh’n. Übrigens läuft Triers OB hinter uns her, OB Schröer.“ – „Hat das etwas zu bedeuten?“, fragte ich. Herr Janusch schwieg.

Das Publikum in der Europahalle war bereits vollständig betrunken. Helge Schneider spielte zusammen mit Pete York und einem großartigen Kontrabassisten fast nur noch wunderbaren Jazz und verließ um elf die Bühne. Das Auditorium kapierte selbstverständlich gar nichts.

Am nächsten Tag sagte Herr Janusch, er zeige mir mal Mönchengladbach, das heißt den Bökelberg. „Okay“, sagte ich. Wir fuhren nach Luxemburg, kauften Bofferding-Bier ein und bretterten an Bitburg vorbei auf die Autobahn. Hinter der Grenze begann ich, „Belgique, mon amour!“ zu singen, eine Ballade ex tempore. Herr Janusch beantwortete das mit einer Borussia- Ballade, die er auf eine schmuddelige Kassette aufgenommen hatte.„Muss ich die gleich in der Nordkurve können?“, fragte ich. „Sicher“, brummte der Borussen-Hardcoremann. Draußen zogen hunderte Birken vorbei, ungezählte Bussarde kreisten am Himmel, und ich schwang eine Bewunderungsrede über die belgische Brückenbaukunst. Janusch öffnete derweil die vierte Bofferding-Dose. Am Berg von Verviers schrie ich: „Brems, Alter, brems!“

In der Heimfankurve am Bökelberg ging es recht lautstark zu, sodass ich mir dachte, es wäre besser, meine selbst komponierte Ballack-Ballade für mich zu behalten und zum Bierstand zu verschwinden. Nach dem Spiel verspeiste Herr Janusch drei Borussen-Würste, ich konsumierte ebensoviele Roth-Händles. „So, zurück nach Trier, mit Bier!“, sagte Herr Janusch. Ich trottete hinter ihm her zum Auto, und schon spürte ich die salzige Brise der Nordsee auf den Lippen. Schöner konnte es jetzt wirklich nicht mehr kommen.

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