Utopie ist machbar

Und Dynamik ist ansteckend: Das ist die Erfahrung von Amelie Deuflhardt, die seit fünf Jahren die Sophiensæle leitet und wieder Leben in den Volkspalast gebracht hat. Das Porträt einer Hartnäckigen

VON CHRISTIANE KÜHL

Ein solcher Satz aus ihrem Mund scheint unmöglich. Und doch hat sie ihn gesagt: „Das ist hoffnungslos.“ Drei Jahre ist das her, vor ihr stand der Musiker Christian von Borries, schwärmte von einem Wagner-Projekt und war entschlossen: Dieses Projekt muss im Palast der Republik stattfinden. Amelie Deuflhardt ist eine der ganz großen Ermöglicherinnen des Berliner Kulturbetriebs, aber hier sah sie das Ende der Fahnenstange. „Das haben schon viele versucht. Es ist politisch zu umstritten. Wir sind zu klein. Vergiss es.“ Vermutlich hat sie das mit großem Nachdruck gesagt. Aber dann hat sie es selbst nicht vergessen, und, ganz im Gegenteil, hartnäckig an der Realisierung des Unwahrscheinlichen gearbeitet. Mit Erfolg: Am 20. August 2004 wurde der ehemalige Palast der Republik am Schlossplatz in Berlin als „Volkspalast“ für künstlerische Nutzung geöffnet, am 9. November endet das Programm. 40.000 Gäste wurden bereits gezählt.

Wenn „Krake“ ein positiv besetzter Begriff wäre, würde man Amelie Deuflhardt gern als einen solchen vorstellen. Anders als mit acht Armen ist ihre Arbeit nämlich nicht zu verrichten. An einem grauen Herbsttag in Berlin sitzt sie am großen Holztisch im Büro der Sophiensæle und diskutiert den neuen Spielplan, koordiniert Projekte für den Volkspalast, entwickelt Produktionsstrategien für freie Gruppen, formuliert einen Brief an die Staatsministerin für Kultur, verabredet Treffen mit Immobilienmaklern und schenkt der Journalistin Kaffee ein. Im Hinterkopf muss sie sich bereits mit dem Auslaufen der Konzeptförderung ihres Theaters im Jahr 2006 auseinander setzen, und dass sie vier schulpflichtige Kinder hat, kann man auch noch erwähnen.

Ja, bestätigt Amelie Deuflhardt, manchmal frage sie sich auch, „ob ein Mensch sich eigentlich beliebig viel Extraarbeit aufladen kann“. Bei ihr jedenfalls geht es. Und es geht gut: „Ich bekomme viel Inspiration von den Künstlern. Da kommt die Kraft her.“ Dynamik, so ihre Erfahrung, ist ansteckend.

Seit fünf Jahren ist Amelie Deuflhardt, die früher einmal Geschichte studierte, künstlerische Leiterin der Berliner Sophiensæle. Sie übernahm den freien Produktionsort für Tanz und Theater (erst gemeinsam mit Michael Mans, später mit Christian Holtzhauer) als Sasha Waltz und Jochen Sandig ihn Richtung Schaubühne verließen. Waltz und Sandig hatten das ehemalige Handwerkervereinshaus entdeckt und innerhalb kurzer Zeit durch die bahnbrechenden Choreografien von Sasha Waltz zum Mythos gemacht. Entsprechend gaben die meisten dem Spielort ohne die beiden wenig Chancen. Nicht so Amelie Deuflhardt. Entschiedenheit zählt zu den Eigenschaften, die sie am meisten schätzt; und sie hatte sich nun mal entschieden, die Sophiensæle zu einem Erfolgsprojekt zu machen.

Das Prinzip heißt professionelle Partnerschaft: Die Sophiensæle bieten Spielort und Management für Künstler, die das Haus schätzt und sichtbar machen will. Besonders an dieser Konstruktion ist, dass das Theater über keinen eigenen Produktionsetat verfügt, sondern die Künstler ihr Budget selbst mitbringen müssen. Dafür behalten sie die Produktionsmittel in der Hand und sind nicht in hierarchischen Strukturen gefangen. Synergien werden hergestellt, die größte künstlerische Freiheit mit bester Platzierung am Markt ermöglichen. Auch über Berlin hinaus, denn die Sophiensæle arbeiten in Netzwerken mit ähnlichen Produktionsstätten in anderen Städten und seit einiger Zeit sogar mit avancierten Stadttheatern.

„Wir haben hier ein System geschaffen, das extrem zukunftsfähig ist. Deswegen beginnen die Stadttheater, es zu kopieren“, sagt Amelie Deuflhardt selbstbewusst. Die Vorteile liegen auf der Hand, allen voran das Kosten-Nutzen-Verhältnis. Das hier ein Paradox des freien Theaters liegt, weiß sie natürlich selber: „Unser Modell ist so günstig, weil die Honorare und soziale Absicherung der Künstler so schlecht sind. Mit künstlerischen Projekten kritisieren wir die Entwicklung zum Neoliberalismus – aber in der Theaterlandschaft sind wir das Haifischbecken.“

Trotzdem ist Deuflhardt vom Mehrwert dieses Systems überzeugt. Der Gewinn ist die Kunst: „Alle Neuerungen der Ästhetik, mit Ausnahme Michael Thalheimers, kommen aus dem freien Bereich.“ Während im Stadttheater der Regisseur sechs Wochen lang im schlimmsten Fall gegen das Ensemble arbeitet, bieten freie Produktionen die Chance, mit einer eingeschworenen Gruppe an eigenen Formen und Inhalten zu arbeiten. Das zahlt sich aus, denn durchsetzen tun sich die Unbeirrbaren: Constanza Macras, Christiane Pohle, Hans-Werner Kroesinger. Dass sie, wie viele andere Kollegen aus der freien Szene, mittlerweile von großen Häusern hofiert werden und dort auch arbeiten, enttäuscht Deuflhardt nicht. Nur würde sie sich wünschen, dass die Apparate, die von der Nachwuchsförderung anderer profitieren, diese unterstützten: „Eine Ein-Prozent-Abgabe der Stadttheater bundesweit, die dann in freie Produktionen fließt – das tut keinem weh. Und es würde wieder ein großes Experimentierfeld für junge Künstler entstehen.“ Dieses Feld schrumpft beständig; die Schließung des Neuen Cinema in Hamburg und des TiF in Dresden sind nur zwei traurige Beispiele dafür.

In Berlin sind die Produktionsbedingungen vergleichsweise gut, da durch den Hauptstadtkulturfonds und die Bundeskulturstiftung mehr Geld zu verteilen ist. Dazu kommen durch viele Leerstände Proben- und Spielräume, die finanzierbar und inspirierend sind. Das hieraus entstehende Potenzial hält Deuflhardt jedoch für total unterschätzt. „Die Politik behandelt uns wie Bittsteller. Statt die Stärke Berlins zu erkennen und zu fördern: als Stadt, wo die Ideen entstehen.“ Wenn sie momentan erschöpft zwischen Sophiensælen und Volkspalast durch die Stadt laufe, sei sie in Anbetracht der großen Depression jedenfalls sehr glücklich, im Kulturbereich zu arbeiten. „Weil hier die Vitalität herkommt und sogar ein Glaube an die Zukunft existiert.“

Aber vielleicht ist Berlin eben doch eine Stadt, die mehr an ihre Vergangenheit als an die Zukunft glaubt. Der Wunsch nach Wiederaufbau des Stadtschlosses ist ja nur ein Beispiel dafür; die Vehemenz, mit der man sich sogar gegen eine Zwischennutzung des entkernten Palasts der Republik wehrte, schon ein zweites. Für Deuflhardt, die den „Volkspalast“ gemeinsam mit dem HAU-Theaterleiter Matthias Lilienthal und dem Architekten Philipp Oswalt durchsetzte, bietet er vielmehr die Chance, sich im 21. Jahrhundert in einer europäischen Metropole noch einmal die Frage zu stellen, wie man das Zentrum nutzen will. Ihre Antwort ist klar: als Ort der konkreten Utopie.