Im Tendenzbetrieb

Die Regionalpresse im konservativen Mittleren Westen stand 2000 treu zu Bush. Jetzt setzten viele Titel auf Kerry

COLUMBIA taz ■ Wichtige Dinge nimmt Henry J. Waters III. gerne selbst in die Hand. Etwa die Entscheidung, welchen Präsidentschaftskandidaten sein Blatt unterstützt. Der Verleger der konservativen Regionalzeitung The Daily Columbia Tribune stellte sich zur großen Überraschung der Leser diesmal auf die Seite der Demokraten: „John Kerry ist eine echte Alternative“, schreibt Waters im wohl wichtigsten Leitartikel des Jahres. Mit Bush, den er im Jahr 2000 aufs Podest hob, rechnet der Verleger aus Missouri heute ab: „Er ist in vielerlei Hinsicht der schlechteste Präsident, den wir jemals hatten.“

„Endorsements“ heißen solche Wahlempfehlungen der amerikanischen Blätter, rund ein Viertel der knapp 1.500 US-Zeitungen hat sich festgelegt: 206 Titel empfehlen Senator Kerry, darunter die einflussreichen New York Times, Miami Herald und Washington Post. 166 sind für Bush, mit dabei: Rupert Murdochs New York Post, die San Diego Union Tribune und die konservative Chicago Tribune.

Umfaller wie in Missouri gab es in den vergangen Wochen häufig. Insgesamt 43 Zeitungen, die vor vier Jahren noch stramm hinter Bush standen, plädieren nun für Kerry. „Bush ist dabei, seinen Einfluss auf die wichtigen Agenda-Setter der Medienindustrie zu verlieren“, sagt Mitchell McKinney, Professor für Kommunikationswissenschaften an der University of Missouri, zu den oft vernichtenden Editorials, mit denen die Blätter ihre Wahlempfehlungen begründen.

Hinter Henry J. Waters dem Dritten liegt dabei ein langwieriger Entscheidungsprozess, bis er sich schließlich für den Herausforderer aus Massachusetts entschied: „Genug ist genug. Es ist Zeit für einen Regierungswechsel. Lasst uns diesmal den richtigen Weg einschlagen, indem wir George W. Bush rauswerfen und John F. Kerry ins Amt wählen“, schrieb Waters. Damit zählt er zu den wenigen Verlegern in den USA, die noch eigenmächtig zur Feder greifen und der Redaktion eine politische Linie vorgeben. Die meisten Titel sind heute als Glieder einer Zeitungskette Teil von Großkonzernen wie Knight Ridder oder Gannett. Aus Angst vor Leser- und Anzeigenverlust scheuen sie Kontroversen und verzichten in der Regel auf Wahlempfehlungen.

Am Wahltag kann Waters’ Leitartikel mehr Gewicht haben als die Empfehlungen der großen Blätter wie der New York Times, Washington Post oder Chicago Tribune. Denn die Bedürfnisse der Bürger in den eng umkämpften „Battleground“-Staaten des Mittleren Westen gehen in den nationalen Analysen oft unter. Insgesamt haben sich die vier auflagenstärksten Blätter in Missouri für Kerry ausgesprochen.

Abgerechnet wird immer am Schluss, macht sich Michael Golden, Kommunikationschef beim Kerry-Wahlkampfteam in Missouri, Mut: „Die Endorsements der lokalen Presse helfen uns gerade jetzt, so kurz vor der Wahl. Die Leute hier lesen das sehr aufmerksam.“ Und wer Zeitung liest, gehe bekanntlich eher zur Wahl als Menschen, die nur fern sähen oder sich gar nicht informierten. Solcher Optimismus ist nötig. Die Umfragen sehen seit Wochen George W. Bush knapp vorn. CARLA PALM