Für den Osten keine Extras mehr

Wirtschaftsforscher fordern, den Osten künftig genauso zu behandeln wie den Westen. Bisherige Maßnahmen, um in den östlichen Bundesländern Jobs zu schaffen, seien wirkungslos. Die aktuelle Lage sei immer noch „mehr als unbefriedigend“

aus Berlin KATHARINA KOUFEN

Geht es nach den führenden Wirtschaftsinstituten, dann wächst bald auch in der deutschen Fördertopflandschaft zusammen, was zusammengehört. „Ab 2010 keine Sonderbehandlungen mehr für den Osten“, fordert Joachim Ragnitz vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle. Ragnitz ist einer von sechs Autoren des „Fortschrittsberichts über die wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland“. Den Bericht hat die Bundesregierung in Auftrag gegeben, gestern wurde er vorgestellt. Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin fasst zusammen: „Die aktuelle Lage ist mehr als unbefriedigend.“

Zwar wuchs die ostdeutsche Wirtschaft in der ersten Hälfte diesen Jahres mit 0,2 und im dritten Quartal mit 0,5 Prozent ganz leicht. Und das ist mehr als in Gesamtdeutschland, wo die Wirtschaft schrumpfte. Doch sei dies vor allem auf zwei „Einmaleffekte“ zurückzuführen, so Brenke. Erstens die Flut im Sommer 2002. Sie zerstörte Häuser und Straßen – und kurbelte so die Bauwirtschaft an. Zweitens die Diskussion um die Kürzung der Eigenheimzulage. Sie dient ebenfalls dem Bausektor, weil viele Leute schnell noch vor Ende des Jahres Bauanträge stellen.

Ansonsten aber sinke weiterhin die Zahl der Beschäftigten und derjenigen, die überhaupt noch Arbeit suchen. Fast 100.000 Menschen hätten sich im letzten Jahr beim Arbeitsamt abgemeldet, seien in den Frühruhestand oder in die Erwerbsunfähigkeit umgestiegen. Die verbleibenden Beschäftigten seien damit zwar umso produktiver – doch liegt das ostdeutsche Produktivitätsniveau immer noch bei nur zwei Drittel des westdeutschen. Positiv ist aus der Sicht der Wissenschaftler: Nur noch 10 Prozent der Industriebetriebe zahlen Tariflöhne.

Wirtschaftsforscher Ragnitz aus Halle wollte den Osten nicht als gesamtdeutsche Bremse bezeichnen. „Gesamtwirtschaftliche Effekte“ gebe es aber wohl: So müssten noch auf Jahre hinaus Renten und Arbeitslosengelder vor allem von den West-Beitragszahlern getragen werden. Denn die Arbeitslosigkeit im Osten ist höher und die ostdeutschen Renten liegen im Durchschnitt über dem westdeutschen Niveau.

Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss: Ein radikales Umdenken beim Aufbau Ost ist nötig. So brächten die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) aus arbeitsmarktpolitischer Sicht gar nichts – außer dass die Arbeitslosen eine Zeit lang in einer Maßnahme stecken und nicht zu Hause rumsitzen. Maßnahmen für Arbeitslose mit wenig Erfolg auf Beschäftigung sollten daher aus Steuern finanziert werden und nicht wie bisher über die Sozialversicherung. Das mache es noch unattraktiver, Leute einzustellen.

Auch bei der Förderung von Investitionen sei einiges schief gelaufen. Es sei zu „Mitnahmeeffekten“ gekommen – sprich: Firmen ließen sich einzig und allein wegen der Staatsgelder im Osten nieder. Kurz darauf verschwanden sie wieder. Zu viel sei in Unternehmen investiert worden, die Kapital, aber wenig Arbeitskräfte benötigen – etwa in die Chemiebranche. Ragnitz fordert, die Zuschüsse nicht mehr mit der Gießkanne zu verteilen. Die Investitionszulage dürfe nach 2006 nicht verlängert werden. Fördersätze von derzeit bis zu 50 Prozent seien zu hoch.

Schleppend auch das Tempo, in dem der Osten seinen Innovationsrückstand aufholt. Die Forscher messen dies an der Zahl der angemeldeten Patente auf 100.000 Einwohner. Selbst im ostdeutschen Spitzenreiter Berlin liegt diese nur bei 34. Zum Vergleich: Die Westdeutschen kommen auf 49 Patente.

Aber: Ost ist nicht gleich Ost!, warnen die Forscher vor der Neigung der Westdeutschen, alles östlich von Harz und Hessen als Einheitsbrei zu betrachten. Neben all den strukturschwachen Regionen gibt es auch Boomzonen – etwa Leipzig, Jena oder Erfurt. Ganz wie im Westen eben auch.