ausgehen & rumstehen
: Frösteln statt feiern

Ich mein’, das muss man sich mal vorstellen. Letztes Wochenende hat es ja quasi noch geschneit, und jetzt fragt der Türsteher: „Was willste denn damit?“, als er beim Taschekontrollieren meinen scheinbar endlosen Zweimeter-Schal herauszieht. „Man weiß ja nie, was passiert!“, sag ich. Ich trau dem Sommerbraten noch nicht. Sollen die sich ruhig alle zehenfreie Stoffschühchen kaufen, ich rasier meine Beine nicht vor Juni. Und so läuft man im Wintermantel neben Mädchen in Hot Pants. Merkwürdig, wie unterschiedlich doch das Temperaturgefühl sein kann. Vielleicht, so meine Theorie, würde ich weniger schwitzen im Sommer, wenn ich mich jetzt noch warm anziehe. Wegen der Desensibilisierung. Und irgendwann kann man einfach nicht mehr noch mehr ausziehen.

Ich halte es außerdem für absolut übertrieben, jetzt schon jeden Tag in den Görlitzer Park zu rennen und das neueste Sonnenbrillenmodell zu präsentieren, während nebenan Boxen und Plattenspieler aufgestellt werden. Innerhalb kürzester Zeit sammeln sich leere Bierflaschen auf einzelnen Haufen, und sobald es dunkel wird, stolpert man über Taschen, Kinderwagen und anderen Unrat. Wie viele Clubs hat Berlin nochmal? Und wie viele davon haben eine Terrasse, Garten oder gar Spreezugang? Das Praktische an diesen Clubs ist ja, dass sie sogar Leute dafür bezahlen, die den Dreck hinter einem wegräumen. Die gibt es im Park nicht. Und weil der alkoholisierte, spaßorientierte Jugendliche scheinbar nicht gewohnt ist, seinen Müll in die dafür vorgesehenen Sammelbehälter zu schmeißen, sieht der Görli nach mehrtägigem Osterrave auch schon so mitgenommen aus wie sonst erst im Juli. Aber gut, bitte schön, die Kids nennen das Freiheit. Das sind wahrscheinlich auch dieselben, die sich einen pinken Rock und eine Matrosenmütze anziehen, mit Soundsystem in Gruppen bei Rot über die Straße gehen und das dann Techno-Schnitzeljagd für den Weltfrieden nennen.

Schon am Donnerstagabend knistert die Luft ganz gefährlich. Ich erinnere mich daran, dass damals auf dem Land aus religiösen Gründen weder in den Karfreitag rein- noch rausgefeiert werden durfte. Hier in der M20 war schon alles ganz aufgeregt. Alle wollten sich zeigen und sahen recht gut dabei aus. Das sind so Abende, an denen man das Feld gerne anderen überlässt und recht heimelig nach Hause gehen kann. Wer will denn schon feiern, wenn die ganze Stadt es auch tut? Wenn so eine gleichgeschaltete Euphorie herrscht? Außerdem ging es auf Vollmond zu. Und am nächsten Tag sah man, was so ein Mond und ein Feiertag alles anrichten können: Auf den Straßen und Fahrradwegen lagen zerbrochene Flaschen. Überall. Auch L. erzählte, es sei so eine Amokstimmung in der Stadt gewesen. Auf seiner Vernissagentour hätten sie plötzlich angefangen, sich in den Galerien gegenseitig mit Flaschen zu bewerfen.

Gegen Nachmittag kamen mir übernächtigte Bekannte entgegen, die mich immer wieder umarmen und anfassen wollten. Sie spuckten zähweiße Spuckekugeln auf ihre T-Shirts und schienen Alkohol zu schwitzen. „Heute ist der Lattenjupp ans Kreuz genagelt worden“, konnte der eine recht artikuliert aussprechen. „Ach siehste, deswegen ist mir auch schon den ganzen Tag so komisch“, sagte der andere. Ich beschloss zu trinken, auch wenn es erst drei war. Es gab Vodka aus Neuseeland, ich fuhr mit dem Rad durch Scherben, hörte Frankie Goes To Hollywood und warf bunte Schokoeier für die Kinder durch die Gegend. Was man halt so macht an Ostern, wenn man noch etwas fröstelt.LAURA EWERT