IN URUGUAY GEWINNT DER LINKE KANDIDAT DIE PRÄSIDENTSCHAFTSWAHLEN
: Sozis und Stadtguerilleros Seit an Seit

Es gibt nur wenige Länder in der Welt, in denen die Linke geschlossen zu einer Wahl antritt. Im 3,5-Millionen-Einwohner-Land Uruguay wurde diese Strategie am Wochenende belohnt: 33 Jahre nach der Gründung des Linksbündnisses „Frente Amplio“ („Breite Front“) schaffte es deren Kandidat Tabaré Vázquez, zum neuen Präsidenten gewählt zu werden. Das war nur möglich, weil ehemalige Stadtguerilleros und klassische Sozialdemokraten ihre Gemeinsamkeiten in den Vordergrund stellten und Streitthemen wie die wirtschaftspolitische Ausrichtung ausblendeten. Nur so gibt es jetzt eine realistische Chance, das verkrustete Parteiensystem aufzubrechen und linken Inhalten in der Politik Geltung zu verschaffen. Mit dieser Haltung könnte die Frente Amplio auch zum Modell für linke Wahlprojekte in anderen Ländern werden.

Zugleich aber stellt sich die Frage, wie viel Handlungsspielraum die neue Regierung tatsächlich hat. Vázquez ist gefangen in einem Netz aus widersprüchlichen Anforderungen, die er kaum selbst auflösen kann. Er muss soziale Gerechtigkeit schaffen und darf den Schuldendienst nicht gefährden; er muss Investoren anziehen und das Steuersystem dahin gehend reformieren, dass auch die Unternehmer Steuern bezahlen; er muss ein Rentensystem finanzieren, für das er kaum Geld hat, weil viele junge Leute und damit potenzielle Einzahler das Land verlassen haben.

Nicht umsonst bremste Vázquez bereits im Wahlkampf die Erwartungen an seine Regierung. Das gibt ihm zunächst einen gewissen Freiraum. Er wird ihn nutzen müssen, um Prioritäten zu setzen. Ganz oben auf seiner Liste steht ein soziales Notprogramm. Inwieweit es dem neuen Präsidenten gelingt, hier politisch gangbare Wege zu finden, wird auch für die langfristige Zukunft Uruguays entscheidend sein. Sonst könnte der Euphorie über den Wahlsieg bald Ernüchterung folgen. Scheitert die Linke an der Regierung, wird es vielleicht wieder Jahrzehnte dauern, ehe eine politische Alternative mächtig wird. Die Problemlage Uruguays ist alles andere als einfach. Doch ein linker Politikversuch lohnt – nicht nur für Uruguay. INGO MALCHER