„Und nun freue dich, Uruguay“

In Uruguay gewinnt das Linksbündnis erstmals die Präsidentschaftswahl. Bereits in der ersten Runde steht der frühere Arzt Tabaré Vázquez als neuer Präsident fest. In der Nacht seines Sieges wird die Hauptstadt Montevideo zur Partyzone

AUS MONTEVIDEOINGO MALCHER

So würde in Deutschland noch nicht einmal ein Fußballweltmeistertitel gefeiert. Als am Sonntagabend kurz nach zehn der Kandidat des Linksbündnisses Frente Amplio („Breite Front“), Tabaré Vázquez, den Balkon des Hotel Presidente in Montevideo betritt, bricht frenetischer Jubel aus. Tausende Menschen haben sich hier auf der Avenida 18. de Julio versammelt und feiern ihren neuen Präsidenten. Der Kandidat der Linken kommt nach Auszählung von 96 Prozent der Stimmen auf 50,18 Prozent, auf Platz zwei landete Jorge Larañaga von der Nationalen Partei mit 34,5 Prozent. Weit abgeschlagen liegt der Kandidat der Colorado-Partei des scheidenden Präsidenten Jorge Batlle mit 10,4 Prozent.

„Feiert, Uruguayer, feiert, das ist eure Geschichte“, ruft Vázquez vom Balkon und umarmt Parteigenossen. Der biedere Vázquez lässt sich feiern wie ein Rockstar. Parteigänger zünden Feuerwerkskörper, skandieren „Tabaré Presidente!“ und verwandeln Montevideos Hauptverkehrsachse in ein rot-weiß-blaues Fahnenmeer. Gegen Mitternacht ist halb Montevideo auf den Straßen, hunderttausende marschieren mit den Fahnen der Frente Amplio die Avenida 18. de Julio hinunter, bis sie die Avenida Libertador kreuzt, die direkt zum Parlament führt. Es ist eine Nacht des Triumphs. Junge Frauen mischen sich mit Aquarellfarbtöpfen unter die Feiernden und malen ihnen für wenig Geld die rot-weiß-blauen Frente-Farben ins Gesicht.

„Diese Nacht ist eine magische Nacht für uns“, feiert Vázquez sich und sein Linksbündnis. Er kündigt an, bereits am Montag seine Amtsübernahme am ersten März 2005 vorbereiten zu wollen. Als Wahlkämpfer war Vázquez Pragmatiker, der eher versuchte, Hoffnungen zu bremsen als sie zu schüren. Eine gute Strategie, denn eine schwierige Aufgabe wartet auf ihn. Uruguays Auslandsschulden binden einen Großteil des Staatshaushalts, für Sozialprojekte hat auch Vázquez kaum Spielraum trotz der programmatischen Ausrichtung seiner Organisation.

Vor 33 Jahren bündelten sich die linken Parteien in der Frente Amplio und traten fortan bei Wahlen gemeinsam an. Vor fast 15 Jahren gewannen sie den Bürgermeisterposten in Montevideo und haben ihn seither nie wieder verloren. Vor fünf Jahren schaffte es Vázquez fast zum Präsidenten. Doch erst an diesem Sonntag sollte es endlich klappen. Der Sieg der Linken beendet Uruguays traditionelle Zweiparteienherrschaft. Denn seit 1825 hatten sich die Nationale und die Colorado-Partei an der Regierung abgewechselt.

„Wir sind froh, dass sie weg sind“, sagt Andrea Galán und meint damit die beiden geschlagenen Parteien. Die Studentin läuft mit einer Freundin die Avenida 18. de Julio entlang, beide schultern dabei die weiß-rot-blaue Frente-Fahne. „Wir wissen, dass es so schnell keine allzu großen Veränderungen geben wird, aber wir sind glücklich über den Wechsel“, sagt Galán. So denken viele. Die Cafés in Montevideo sind in dieser Nacht voller Menschen mit Fahnen, die gebannt auf die Fernsehbilder der Wahlberichterstattung blicken.

Dort sieht man plötzlich den Kandidaten der Nationalen Partei, Jorge Larrañaga, wie er durch den Hintereingang das „Hotel Presidente“ betritt, das Wahlkampfquartier der Frente. In einer symbolischen Geste schüttelt er vor laufenden Fernsehkameras Vázquez die Hand, beide umarmen sich kurz, Larrañaga gesteht in einer Geste politischer Kultur seine Niederlage ein. Kurz darauf steht Vázquez wieder auf dem Balkon und lobt seine Wähler: „Danke, dass ihr so seid, wie ihr seid“, ruft er und hebt an: „Jetzt feiere, Uruguay.“

Abseits von ihm steht José Mujica, ein füherer Stadtguerillero der Tupamaros, heute Senator der Frente. Er wird bedrängt von Kamerateams und Reportern. Auch er feiert die „Nacht des Triumphs“, warnt aber auch vor voreiligen Schlüssen. „Macht ist ein zu großes Hemd“, sagt er. „Wir haben es an die Regierung gebracht, nicht die Macht gewonnen.“ Ziel der linken Regierung könne es daher zunächst nur sein, den Staat besser zu verwalten, den Reichtum gerechter zu verteilen und Arbeitsplätze zu schaffen. Dass dies gelingen kann, sei realistisch. „Der Triumph ist manchmal ein Gift, aber wir sind geimpft, denn wir haben oft verloren.“

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