Schützt Dummheit vor Strafe?

Das Bremer Amtsgericht will den Prozess gegen die Bremer Hilfe zur Selbsthilfe einstellen: In dem internen Chos könnte die Betrugsabsicht schwer nachweisbar sein, meint der Richter. Die Belastungszeugen sollen nicht mehr gehört werden

„Ist das teuerste Personal immer dort eingesetzt, wo es abrechenbar ist?“

Bremen taz ■ Prozessbeobachter wundern sich über den Verlauf der Verhandlungen gegen den Drogenhilfe-Verein „Bremer Hilfe zur Selbsthilfe e.V.“. Wenn man alle Details aufklären wolle, säße man noch im nächsten Jahr im Gericht zusammen, meinte der Bremer Amtsrichter Hans Ahlers in der letzten Verhandlung gegen die Verantwortlichen. Der Vereinsvorsitzende Volker Tegeler und der Geschäftsführer Klaus Dyck sollten doch einmal überlegen, ob sie nicht eine Geldstrafe akzeptieren könnten.

Verwundert sind Beobachter vor allem, weil die Vorwürfe des Betrugs an denen, die die Projekte der Bremer Hilfe finanzierten – Landesversicherungsanstalt, Aktion Sorgenkind, Sozialressort – schon 1997 in der Zeitung standen: Da seien Mitarbeiter bei zwei verschiedenen Projekten doppelt den Trägern in Rechnung gestellt worden. Außerdem sei die Frau des Chefs bei der „Aktion Sorgenkind“ als gut verdienende Diplompsychologin abgerechnet worden, obwohl sie nur ein Pädagogik-Examen habe.

Das Gericht möchte das Verfahren einstellen, bevor die Belastungszeugen überhaupt gehört worden sind. Wochenlang wurden die Ausreden der Angeklagten angehört. Daraus hat sich der Eindruck ergeben, dass die Zustände bei der Bremer Hilfe chaotisch bis durcheinander waren, dass der Geschäftsführer keine Vorstellung einer geordneten Geschäftsführung hatte und der ehrenamtliche Vorsitzende des Vereins, Tegeler, in Bremerhaven saß und sowieso nichts mitbekam. Die „Hürde der Absicht“ so formulierte der Richter seinen Eindruck, um einen regelrechten Betrug annehmen zu können, ließe sich wohl nicht überspringen.

Kenner der Materie halten das für naiv. Denn aufgeflogen ist der Schwindel mit der Bremer Hilfe, als Mitte der 90er Jahre ein neuer Geschäftsführer die Verantwortung übernehmen sollte: der frühere Bremer Drogenbeauftragte Guus van der Upwich. In den Akten befindet sich ein Brief von Tegeler an Upwich vom 30.6.1997, der dokumentiert, dass Tegeler sehr genau wusste, was läuft. Auf drei Seiten listet Tegeler präzise Fragen zu der Haushaltsplanung auf und deutet an, wie die desolate finanzielle Lage des Vereins verbessert werden könnte: „Ist das teuerste Personal immer dort eingesetzt, wo es abrechenbar ist?“ Upwich wurde schnell gefeuert, weil er auf einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung bestand. Auch Upwich ist bisher nicht als Zeuge gehört worden.

Unübertreffbar dreist erscheint die Geschichte mit den 85.000 Mark, die 1995 für Druckereimaschinen von dem Bremer Hilfe-Verein (Vorsitzender Tegeler) an die Arbeiterwohlfahrt Bremerhaven (Geschäftsführer Tegeler) flossen. In dem Kaufvertrag sind die teuren Maschinen nicht näher bezeichnet, in der Inventarliste tauchten sie nie auf und im Jahr 2000 waren sie nicht zu finden, als die Kripo nachschaute. Dank der Rechnung konnte die Bremer Hilfe pro Jahr 17.000 Mark Abschreibungen beim Europäischen Sozialfonds abrechnen. Erstaunlicherweise schickte die AWO Bremerhaven ein Jahr später in verschiedenen Tranchen 85.000 Mark zurück an die Bremer Hilfe. Grundlage waren Handwerkerrechnungen. Diese Summen konnte die AWO Bremerhaven bei der Aktion Sorgenkind als „Kosten“ in Rechnung stellen. Als der Wirtschaftsprüfer damals nachfragte, was es mit den 85.000 Mark auf sich hatte, bekam er von der Buchhalterin erklärt, es handele sich um eine „Kapitalrückführung“. Dieselbe Buchhalterin gab sich vor Gericht als Zeugin völlig ahnungslos. Nach den Druckereimaschinen wurde sie nicht gefragt.

Klaus Wolschner

Verfahren gegen die Bremer Hilfe: Donnerstag 9 Uhr, Amtsgericht R. 351