Abschiedsbrief von Berti

Hans-Hubert Vogts kommt seinem Rauswurf zuvor und tritt nicht nur zurück, sondern auch nach. Nach seiner Version waren mal wieder die bösen Medien schuld daran, dass er gescheitert ist

AUS LONDON RAPHAEL HONIGSTEIN

Berti Vogts wollte nicht gefeuert worden – und deshalb trat er am Montag lieber von sich aus zurück. Immerhin: Sein Schritt wurde allseits mit großer Erleichterung aufgenommen – „Berti erlöst uns“, titelte der Daily Record lapidar – und hätte ein einigermaßen würdevoller Schlusspunkt nach 32 hochgradig unproduktiven Monaten im Amt sein können, zumal Vogts nach Informationen der Times ein nettes Abschiedssalär von 750.000 Euro ausgehandelt hat. Aber der 57-Jährige bestand dann leider auch noch darauf, auf der Internetseite des schottischen Verbandes einen melodramatischen Abschiedsbrief zu veröffentlichen, in dem er Anfeindungen durch einen Teil der Fans und eine Hetzkampagne von Boulevard-Journalisten „mit nur begrenztem Fußballverstand“ für seine Demission verantwortlich machte. Das Schreiben erinnerte den seriösen Scotsman in seinem weinerlichen Ton fatal an Richard Nixons paranoide Rücktrittsrede im Jahre 1974, in der ebenfalls die Medien als Hauptschuldige bezeichnet wurden.

Vogts’ operettenhaftes Adieu erzählt von einem „schweren Herzen“ und „großen Zögern“ vor der Entscheidung und bedankt sich bei einer langen Liste von schottischen Trainern wie Sir Alex Ferguson (Manchester United), Martin O’Neill (Celtic) und Graeme Souness (Newcastle United) für ihre Unterstützung. Wirklich unterstützt hatten diese den Deutschen allerdings nicht, sondern nur ein wenig Sympathie für Vogts’ schwierige Lage geäußert. Denn in der Tat hatte der Korschenbroichener nur wenig brauchbares Spielermaterial zur Verfügung gehabt. Dass er gegen Holland in der EM-Relegation scheiterte und die „Tartan Army“ nach dem katastrophalen Beginn der Qualifikation auch bei der WM in Deutschland fehlen wird, hätte man ihm womöglich noch verziehen; die Schotten wissen sehr wohl über die mangelnde Qualität ihres Fußballs Bescheid. Aber „die Art und Weise, ja“ (Vogts), in der in 31 Spielen nur acht Siege erzielt wurden, war schlichtweg verheerend. Zahlreiche Systemänderungen und kapriziöse Aufstellungen hatten das Vertrauen der Öffentlichkeit früh getrübt, nicht selten liefen Spieler während des Matches zu Vogts-Assistent Tommy Burns, um zu fragen, wo denn ihre genaue Position sei. Weshalb die Times feststellt, Walter Smith, ehemaliger Trainer der Glasgow Rangers und des FC Everton sowie Favorit auf die Vogts-Nachfolge, müsse nun „die Trümmer der Vogts-Ära aufräumen“.

Was Vogts nie verstand: Die Schotten können schon auf Grund ihrer Geschichte traditionell sehr gut mit Niederlagen umgehen – solange sie nur das Gefühl haben, dass einfach nicht mehr drin war. Vogts typische Kommunikationsprobleme, verschärft durch sein bestenfalls rudimentäres Englisch, aber verhinderten, dass seine Männer je zu größeren Taten befeuert wurden. Sein Team blieb regelmäßig unter seinen arg begrenzten Möglichkeiten. „McBerti“ verschanzte sich schon vor dem Anpfiff hinter einem Berg von Gründen für die drohende Niederlage und verzog sich in den letzten Wochen vollends in eine defensive Trotzstellung, die im Norden der Insel gar nicht gut ankam. Jegliche Hoffnung auf Fortschritt hatte sich lange verflüchtigt.

Von eigenen Fehlern und Versäumnissen war von Vogts während der ganzen Zeit nichts zu hören – und auch den 784 Abschiedsworten vom Montag ist Selbstkritik gänzlich fremd; Niederlagen und schlechte Ergebnisse werden nicht mal ansatzweise thematisiert. Nein, schuld waren die anderen, also die Medien, die „persönliche Meinungen äußerten, die nicht der Meinung des Großteils des schottischen Volkes entsprachen“. Dass die Mehrheit der Fans bis zuletzt hinter ihm stand, ist ein schöner Mythos. Und was die Times von solchen Anschuldigungen hält, formulierte sie so: „Vogts behauptet, eine von den Medien angeführte Kampagne habe seinen Sturz verursacht, aber ein Mann, der mit einer 0:5-Niederlage gegen Frankreich begann und mit einem 2:2 gegen die Fußballzwerge von den Färöer-Inseln weitermachte, hatte Glück, noch so lange dranzubleiben.“