Bush oder Kerry

Bremen hat die US-Wahl nicht verschlafen. Mehrere hundert Menschen durchwachten die Nacht – im World Trade Center und in der Schwankhalle

Bremen taz ■ Maria hält einen Plüschhasen im Schoß und ihre geschwollenen Augen mühsam offen. Es ist vier Uhr morgens, die Hamburger schmecken nicht so wie zu Hause, und auf der Leinwand vorne gibt es kein Ergebnis, nur Zahlen um Zahlen. Aber Maria will bleiben bis die Lichter ausgehen. Schließlich durfte sie zum ersten Mal in ihrem Leben den amerikanischen Präsidenten wählen. Maria ist 20 und aus Illinois, sie ist klein und rund und hingerissen von der Größe des Augenblicks. In Bremen studiert sie für ein Jahr Kulturwissenschaften, heute Nacht wacht sie mit ihren Freunden bei der Wahlparty im Foyer des World Trade Center.

Einige hundert Menschen verfolgen hier zusammen die Präsidentschaftswahl, bis der Morgen graut. Arbeiten sich langsam vom Osten der USA nach Westen vor, von den ersten Hochrechnungen aus Kentucky um ein Uhr morgens über die Zweifel in Ohio bis zu den Meldungen aus Minnesota um 5 Uhr. In der Bremer Bahnhofsvorstadt feiert das Bremen United States Center mit Exil-Amerikanern, der Jungen Union und anderen Menschen in Jackets. Im schwarzen Theaterraum der Schwankhalle in der Neustadt treffen sich Jungs mit Kapuzenjacken und Frauen in lässigen Stoffhosen und Markenturnschuhen.

Einer war für Bush. Paiam Mohadjer ist 26, hat keinen Fernseher zu Hause und ist deswegen in der Schwankhalle, er will Bush siegen sehen. „Amerika hat die Macht und soll sie auch weltpolitisch ausspielen – da finde ich nichts Schändliches dran“, sagt Paiam. Er studiert Politikmanagement an der Hochschule. „Das ist traurig genug, dass du so denkst“, schimpft eine blonde Kommilitonin, Paiams Freunde sind alle für Kerry. Es ist halb eins und noch ist die Leinwand leer.

Ein rot-blau-weißer Esel strahlt von der Krawatte von Bausenator Jens Eckhoff – Symbol der amerikanischen Demokraten. „Ich würde Kerry wählen“, bestätigt Eckhoff. „Aber eigentlich bist Du doch für Nader“, wirft der Vorsitzende der Jungen Union, Claas Rohmeyer, ein. Die beiden sind in der Schwankhalle die einzigen im Anzug, Amerika-Kenner Eckhoff soll gleich ein paar Worte zur Wahl sagen. Auf einem kleinen grünen Zettel hat er nochmal alles ausgerechnet: Wenn Kerry Florida verliert, aber Ohio, Pennsylvania und Minnesota gewinnt, könnte es reichen.

Das aber wollen die rund hundert Zuschauer nicht hören. „Langweilig“ und „das ist peinlich“, gröhlt es, noch bevor Eckhoff zwei Sätze sagen kann. Viele verlassen den Saal, eine Musikerin greift zur Gitarre und spielt, während der Bausenator spricht. Stört sie der Anzug? Eckhoff geht, das erste Ergebnis kommt: Kentucky wählt Bush, es ist viertel nach eins.

Washington, zur gleichen Zeit, es ist 7 Uhr abends. Die Wahllokale haben ihre Pforten geschlossen, nichts geht mehr. Jörg Jäger (CDU) und Silvia Schön (Grüne), die beiden Bürgerschaftsabgeordneten aus Bremen, machen sich auf den Weg. Schön und Jäger sind mit Bremer Politikern und Journalisten auf Bildungsreise in den USA, Schön verfolgt die Wahlen im Presseclub der Stadt, Jäger geht nach Georgetown in eine Bar. Beide sagen: Unaufgeregt sei die Stimmung. Washington ist klar für Kerry. „Statt Sport laufen heute eben die Nachrichtensender in den Kneipen“, berichtet Jäger.

In Bremen hat Maria mit dem Plüschhasen lange gegrübelt. Bush oder Kerry oder Bush oder Kerry? Wen sie schließlich gewählt hat, mag sie nicht verraten. Und schaut weiter auf die Zahlenbänder von CNN. Zwei wohnwagengroße Leinwände stehen hier im World Trade Center, dazwischen Stars and Stripes. Unter der Glasdecke kleben Sträuße aus rot-blau-weißen Luftballons, Blitzlichter zischen durch den Raum. Es ist halb drei, Bush liegt in Florida vorne.

Auch Scott, ein Freund von Maria mit ernsten braunen Augen und adrettem rotweißen Poloshirt, will nicht verraten, wen er gewählt hat. „Über Religion und Politik sprichst du nur mit deiner Familie“, sagt Scott. Doch er lächelt, als das Ergebnis der kleinen Umfrage im World Trade Center verkündet wird: 87 Prozent der Anwesenden hätten Kerry gewählt, 10 Prozent Bush. Und weiter laufen die Zahlen: Virginia steht 57 zu 43 für Bush, in Pennsylvania bleiben die Wahllokale bis halb zehn offen, weil die Schlangen so lang sind. Vermont geht an Kerry, im Swingstate Ohio ist weiter alles offen. Es ist halb vier, die Älteren sind längst gegangen, Maria und Scott bleiben, die Uni läuft morgen auch ohne sie.

In Washington gehen Silvia Schön und Jörg Jäger zurück ins Hotel, 23 Uhr und nichts entscheidet sich mehr. Morgen ist nochmal ein langer Tag, sie treffen ehemalige Mitglieder des Repräsentantenhauses – um über eine Wahl zu sprechen, die noch kein Ergebnis hat. „Es kann gut sein, dass wir am Sonntag nach Deutschland zurückfliegen, und es hat sich noch immer keiner der beiden zum Verlierer erklärt“, seufzt Jäger.

In der Schwankhalle hängt nur noch eine Handvoll Menschen. Einer liegt auf den Theatertreppen und döst, ein anderer holt noch ein Bier. Die ARD berichtet tapfer weiter. Ob sich noch klärt, wer Ohio gewinnt? „Wir haben auch Matratzen da“, informiert Lutz Gajewski von der Schwankhalle die Anwesenden. Müdes Nicken. Fünf Uhr morgens und alles ist offen.

          Dorothea Siegle