Zwei zu null für den Autor

Die taz-Initiative „Erlesenes erhalten“ funktioniert wie ein Fußballspiel: Man braucht einen Trainer, Spieler, Zuschauer und einen Ball. Eine Halbzeitbilanz

Michael Moore sagte ab: Sorry, aber er sei mit der US-Präsidentschaftswahl voll ausgelastetMark Twain kommt auch noch ins extrablatt – mit einem satirischen Porträt eines Reporters

VON BARBARA HÄUSLER

Einer These Klaus Theweleits folgend, wonach sich – verkürzt – im Fußball letztlich die ganze Welt abbilde, bleibt eingangs nur festzustellen: Eigentlich funktioniert auch eine literarische Initiative nicht anders als ein Fußballspiel.

Das war mir und meinem Organisationskollegen Jürgen Roth sofort klar. Die Rollenverteilung liegt jedenfalls schon mal auf der Hand: Ich bin Trainer, Jürgen Roth ist kongenialer Co-Trainer, die Autoren sind die Kicker und die Leser natürlich die Zuschauer, die das Spiel mit Applaus und Buhrufen begleiten. Die taz ist Clubeigner, vertreten durch Marketingchef Willi Vogelpohl, der in Personalunion als Vereinspräsident und Kassenwart vom Clubhaus aus den Einkauf der Spieler ermöglicht, für die Rahmenbedingungen sorgt und technische Pannen pariert. Nicht zu vergessen das taz-Personal, das in Gestaltung, Korrektur und Satz als Linienrichter aufpasst, dass der Ball hübsch im Spielfeld bleibt. Der Ball ist selbstredend der Text.

Zunächst zur Mannschaftsaufstellung: Listen und Einzelmeldungen mit Spielervorschlägen von überall erreichten uns in der Anfangsphase fast stündlich, eine Auswahl konnte also nur in der bewährten Mischung aus Trotz, Mut und Pragmatismus erfolgen. Gerade Letzterer ist unverzichtbar: Die Erfahrung lehrt, dass immer welche fehlen, und zwar jedem andere. Und gemault wird auch immer. Was wir wollten und sollten: eine möglichst spielstarke Truppe zusammenstellen, die fit und passgenau das Thema Zeitungskultur aus möglichst vielen Facetten umdribbeln kann – in einem Essay, einer Erzählung, einer Polemik oder – wie Sie noch sehen bzw. lesen werden – gezeichnet und gereimt.

Alle Wunschspieler waren selbstverständlich nicht verfügbar: am Nordpol, im Krankenhaus, beschäftigt, verschollen. Aber fast alle Angesprochenen fanden, selbst wenn sie dann absagen mussten: ein schönes Konzept! Und das stimmt ja auch: eine Abokampagne ganz ohne Jammern oder Lesererpressung. Am nettesten hat dies Juli Zeh in ihrer Zusage formuliert: „Das ist eine unprätentiöse und intelligente Weise, für die eigene Zeitung zu werben – indem man eigentlich für den ganzen Branchenzweig wirbt.“

Auffällig und keineswegs selbstverständlich war deshalb wohl auch die allgemein spontane Bereitschaft mitzumachen. Weshalb man – so das Fazit – sagen kann: Die taz erfreut sich großer Wertschätzung und nachhaltiger Solidarität. Das freut die Trainer natürlich auch.

Selbst die bisherigen Absagen waren ausnehmend freundlich und differenziert. Eine der schönsten Absagen kam von Michael Moore: Er ließ durch seine Assistentin ausrichten, er sei mit dem amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf voll ausgelastet. Und Elfriede Jelinek antwortete, sie habe in letzter Zeit so viel Nicht-Literarisches geschrieben, dass sie sich für solche Texte eine Auszeit verordnet habe. Wenn man da schon gewusst hätte. Das wär’s gewesen, ein Beitrag der Literaturnobelpreisträgerin! Das hätte uns auch einiges erspart, was die ewige Frauenfrage betrifft. Doch, wir haben jede Menge Frauen gefragt. Und ja, es haben jede Menge Frauen abgesagt. Neben Frau Jelinek zum Beispiel Elke Heidenreich und Gabriele Goettle, Felicitas Hoppe und Connie Palmen, und eine sehr geschätzte Schriftstellerin und Kollegin durfte nicht schreiben, weil sie bei einem Konkurrenzblatt unter Vertrag steht, das keine anderen Götter neben sich duldet. In den kommenden Wochen werden sich nach Juli Zeh jedenfalls noch Eva Demski, Brigitte Kronauer, Susanne Fengler und Kathrin Schmidt zu Wort melden.

Unterstützung kam aber nicht nur aus dem taz-Clubhaus, sondern auch von außerhalb. So hat ein Kollege einen bisher noch nicht auf Deutsch erschienenen Text von Mark Twain aufgespürt und übersetzt, ein satirisches Porträt des Berufsstands Reporter; ein anderer „schenkte“ uns den großartigen Text von Carl Philipp Moritz. Zwei Ex-taz-Kollegen betätigten sich ihrerseits als Türöffner und bescherten mir zwei denkwürdige Telefonate: mit Martin Walser – sehr angenehm – und mit dem deutsch- französischen Schriftsteller Georges-Arthur Goldschmidt. Nach einem Gespräch mit ihm wird einem schockhaft bewusst, wie unordentlich, wie schlecht man seine eigene Sprache spricht. Er beherrscht nämlich jenes akkurate, schnörkellose, von jeglichen Füll- oder Modewörtern freie Deutsch, das einem die Schamröte über das eigene Kauderwelsch ins Gesicht treibt. Zutiefst beeindruckend! Seinen Text über die Behandlung des Themas Laizismus in der französischen Presse lesen Sie voraussichtlich im Januar.

Ansonsten geht es zu wie bei jedem x-beliebigen Fußballspiel auch. Ständig fällt die Flutlichtanlage aus, was in unserem Kontext so viel heißt wie: Kaum dreht man sich um, sind alle sorgfältig im Text platzierten Kursivierungen wieder verschwunden oder ein begriffsstutziger Rechner tauscht in der Frankfurter Druckerei selbstherrlich Zahlen aus, was in Eckhard Henscheids Text (in der Ausgabe für Süddeutschland) dazu führte, dass nicht eine Jahreszahl mehr stimmte. Zeitungskultur beinhaltet wegen ihrer Anfälligkeit für technische Desaster eben immer auch Anteile von Irrsinn. Indessen treiben und mahnen, streicheln und beruhigen die Trainer die Autoren. Unter den Spielern gibt es wie überall eher defensivere Naturen, desgleichen forsche Stürmer, Diven und Kontrollfreaks. Gerade mit Letzteren kann man herrliche Scharmützel über Schreibweisen und Zeichensetzung führen, da die Rechtschreibung während der Kampagne ja al gusto, also wahlweise alt oder neu, gehandhabt wird. In einem Fall bestand ein Spieler allerdings ausdrücklich auf der definitiven Falschschreibung von zwei Wörtern in seinem Text – nach alter und neuer Rechtschreibung. Bitte sehr! Zwei zu null für den Autor!

Das Spiel läuft weiter, Abpfiff ist erst Anfang kommenden Jahres. Bis dahin lesen Sie neben den bereits genannten Autorinnen und Autoren Beiträge unter anderem von Wladimir Kaminer, Martin Mosebach, Joseph von Westphalen, Klaus Theweleit, Feridun Zaimoglu, Hermann Peter Piwitt, Franzobel, außerdem hat Thomas Gsella eine ganzes extrablatt voll gedichtet.

PS: Ein letztes Wort zur Faltanleitung: Wenn ich das verstehe, versteht es jeder!