Künstlerveteranen in St. Petersburg: „Rosen, Dornen und Träume“ von Tatiana Yankina und Ralf Brings
: Weitermachen, kreativ bleiben

Zwei alte Männer sitzen vor einem Fernseher und schauen sich eine Fernsehserie an. „Die russischen Schauspieler sind auch nur noch mittelmäßig. Das ist der totale Niedergang unserer russischen Kunst“, krächzt der eine. „Alles wird immer schlimmer.“ 95 inzwischen ausgemusterte Künstler leben im „Haus der Veteranen der Bühne“ in St. Petersburg. Ralf Brings und Tatiana Yankina, beide in Hamburg ansässig, haben sie über vier Jahre hinweg immer wieder mit der Kamera besucht. Ihre Dokumentation Rosen, Dornen und Träume, die bereits erfolgreich auf dem diesjährigen Filmfest lief, präsentieren sie jetzt noch einmal im Lichtmeß.

Am schlimmsten ist der Verlust des Gedächtnisses. Die Ältesten wurden schon vor der Revolution geboren, wer um die 60 ist, den nennen sie hier „jung“. Heute, wenn sich die „Veteranen“ gegenseitig mit Aufführungen unterhalten – der Film begleitet etwa die Proben zu einem Puschkin-Abend –, rät man den besonders von Amnesie Heimgesuchten schon mal zu einem Spickzettel. Nicht ohne Herablassung, denn in diesem Altersheim bilden sich auch die Eitelkeiten, der Neid und die Missgunst eines früheren Theaterlebens ab – und seine Hierarchien, denn neben Opernsängerinnen und Schauspielern leben hier Kabarettisten Friseure, Maskenbildner oder Kostümbildner.

Das mit dem Langzeitgedächtnis klappt schon besser. Die alten Texte und Arien geben die Bewohner des von einem Park umgebenen feudalen Hauses, dessen Wände glamouröse Bilder von „damals“ zieren, immer noch gerne zum Besten. Der russische Staat bezahlt eigens einen Klavierspieler, der die Künstler begleiten kann. Was macht‘s, wenn der großen Operndiva Nina Schumskaja da mal die Stimme bricht. „Weitermachen, kreativ bleiben“, heißt die Devise, wenn man „vom Kollektiv getrennt wird“, wie der Schauspieler Wassili Leonow seine Versetzung in den Ruhestand empfunden hat. Yankina und Brings gelingt es zu vermitteln, die Rezitationen geschähen zum Zeitvertreib und nicht der Aufmerksamkeit ihrer Kamera wegen.

Den unterschiedlichen Biographien der Bewohner nähert sich der Film ohne die quälende Auflistung historischer Details. Jeder und jede darf sich mit dem Vergangenen auf seine eigene Art präsentieren. Boris Dimitrijewitsch zeigt stolz seine Sammlung von mehr als zehn Ausweisen, darunter der für die Mitgliedschaft in der Moskauer Philharmonie von 1951. Die 1918 geborene Schauspielerin Claudia Otjakowskaja bekommt gar eine Stummfilmsequenz, in der die immer noch quirlige Frau ihre Lenin-Leidenschaft durch das Umstellen einer Statue im Haus exerzieren kann.

Melancholisch darf eine Kamera schon mal werden, wenn sie die großen und kleinen Sterne des sowjetischen Theaters und Kinos vor der Linse hat. In das Verfalls-Lamento der Alten stimmt sie aber zu keiner Sekunde ein. Rosen, Dornen und Träume konzentriert sich eher auf Zeichen von Humor und Altersmilde: „Erinnerst du dich noch an die Bewegung ,Weg mit der Scham‘? – Das haben wir auch überlebt!“ Jana Babendererde

Donnerstag, 20 Uhr, Lichtmeß