„Der Zug wird nicht umkehren“

Die Demokraten stehen im Abseits. Weil die Wähler Bushs moralische Werte teilen. „Das kapiert die Linke nicht“, sagt der US-Politologe Marcus Raskin

INTERVIEW BERND PICKERT

taz: Was ist das Wichtigste an diesem Wahlergebnis?

Marcus Raskin: Die Demokraten haben eine schwere Niederlage erlitten. Und es scheint, als würden sich die USA in einen Ein-Parteien-Staat verwandeln. Beide Kammern des Kongresses, die Regierung und bald auch die Gerichte, also alle drei Säulen der Gewaltenteilung, werden von der gleichen Partei kontrolliert. Das ist sehr ernst.

Viele Experten sagen, die zweite Amtszeit eines US-Präsidenten sei immer für die Geschichtsbücher, während die erste für die Wähler ist. Sie erwarten, Bush werde sich jetzt konzilianter geben und tatsächlich die überparteiliche Zusammenarbeit suchen. Glauben Sie das?

Es fällt mir schwer. Der Zug fährt ja bereits mit Volldampf in eine Richtung, der wird nicht umkehren. Und wenn es jetzt heißt, Bush wolle sich um das Gesundheits- und Sozialsystem kümmern: Diese Art von Reform privatisiert noch größere Teile des Systems, für die Deckung der sozialen Bedürfnisse bringt das doch nichts. Im Übrigen: Bushs Platz in den Geschichtsbüchern kann auch einfach der Krieg sein, vielleicht ein weiterer Krieg.

Glauben Sie das wirklich? Es schien doch im letzten Jahr eher so, als sei die aggressive Politik der Neokonservativen auf dem Rückzug. Immerhin hat die Irakfrage Bush auch im Wahlkampf große Probleme bereitet.

Ach, die Öffentlichkeit ist nicht das Problem. Noch nie hat ein Präsident zu Kriegszeiten Wahlen verloren Es könnte ein internes Problem der Republikaner geben, aber die Neokonservativen schwimmen noch immer ganz obenauf.

Was erwarten Sie also?

Erstens, dass die Regierung in der Lage sein wird, einen Krieg ohne Ende zu führen. Zweitens könnten die bürgerlichen Freiheiten in diesem Land weiter eingeschränkt werden, die Bürger werden ausgeforscht und eingeschüchtert, mit allen Auswirkungen, die das auf die freie Meinungsäußerung hat. Drittens wird die arabischstämmige, muslimische Bevölkerung verschärfter Ausforschung ausgesetzt sein. Viertens wird auch noch der Verteidigungshaushalt weiter aufgestockt werden, mit gewaltigen Folgen, denn die US-Wirtschaft ist schwach, und das bedeutet, dass die Armen noch ärmer werden und die Mittelklasse langsam verschwindet.

Und was ist mit den „moralischen Werten“?

Antiabtreibung, Frauen am Herd, und Schwulenfeindlichkeit waren in Deutschland Teil einer faschistischen Tendenz Anfang der 20er. Wir erleben jetzt hier, dass diese Dinge benutzt werden, um jene, die das anders sehen, als unmoralisch zu brandmarken, als Leute, die nicht zwischen Gut und Böse unterscheiden können. Wenn man Politik in diesen Kategorien denkt, dann wird es in diesem Land noch größere Spaltungen geben.

Viele sagen, dass die Demokraten in den Jahren der Clinton-Präsidentschaft verschlafen haben, feste Strukturen im Kontakt mit der Bevölkerung aufzubauen, während die Rechte in jener Zeit ihre Organisation und Kommunikation weiter gefestigt hat. Stimmt das?

Ja, aber es ging früher los. Die Rechte hat durch Stiftungen, Think-Tanks, Spenden an Universitäten und geschicktes Platzieren von Leuten ihre Sache vorangebracht, fast nach dem Lehrbuch von Gramsci, um politisch-kulturelle Hegemonie zu entwickeln. Die Frage von Religion und der Benutzung von Gott steht da noch drüber: Der große deutsche Theologe Paul Tiller hat 1930 ein Buch über Sozialismus geschrieben, und da sprach er über das Problem der deutschen Linken, mit den religiösen Gefühlen der Menschen umzugehen. Er schrieb seine Befürchtung auf, dass das von der extremen Rechten übernommen und ausgenutzt wird. Darum geht es.

Und was heißt das nun für die Demokraten in den USA?

Denken Sie an 1964, die Niederlage Goldwaters. Die Republikaner haben das genutzt, um sich langsam zu reorganisieren und zu konsolidieren. Das war ein langer Kampf, bis 1980, als Reagan zum Präsidenten gewählt wurde. 16 Jahre. Bei den Demokraten stellt sich jetzt natürlich die Frage, ob die Strukturen aus dem Wahlkampf halten und die Aktiven weitermachen. Dass das im Prinzip geht, ist klar, aber es ist schwer zu organisieren. Man braucht lokale Gruppen, vernetzte Gruppen, internationalen Austausch.

Aber das hängt doch auch davon ab, ob es wirklich eine Bewegung gibt. So etwas kann man doch nicht von oben nach unten organisieren.

Weiß ich gar nicht. Es ist immer eine Wechselwirkung. Sicher ist: Es muss organisiert werden, und das geht auch. Aber man braucht auch ein Programm, und das muss eine Definition von Werten einschließen. Warum halten wir eigentlich bestimmte Dinge für richtig? Wir haben uns immer über Ronald Reagan oder George W. Bush lustig gemacht, haben denen vorgeworfen, die Fakten nicht zu kennen, sondern stattdessen was von moralischen Werten zu erzählen. Aber die Leute wollen das, und das kapiert die Linke nicht. Wenn man zum Beispiel aufführt, dass ein Drittel der US-Bevölkerung in schlechten Wohnverhältnissen lebt, muss man auch dazu sagen, warum das eigentlich ein wichtiges Thema ist. Gleichheit, christliche Moral, was auch immer, es muss eingebettet sein, sonst geht es an den Leuten vorbei.