Unsicheres Pflaster Boizenburg

Immer wieder kommt es im mecklenburgischen Boizenburg zu Übergriffen durch Rechtsextreme. Hilfe von der Polizei können die Opfer kaum erwarten – jetzt wurde sogar die Anzeige eines Geschädigten nur lückenhaft übernommen

Mehr als eine Woche ist die Auseinandersetzung nun schon her, aber sein blaues Auge, die zerschürfte Wange und die geschwollene Nase von Jonas (Name geändert) aus Boizenburg sind noch gut zu erkennen. Am 4. April, einem Samstag, griffen acht Rechtsextreme den 17-jährigen Schüler in der Kleinstadt an. Nun soll das Opfer der Täter sein: Gegen Jonas ist bei der Polizei Anzeige erstattet worden – von den Rechten. Jonas’ eigene Anzeige – aufgenommen am Tag des Geschehens – sei später nur noch lückenhaft vorhanden gewesen, sagt Tim Bleis vom Verein Landesweite Opferberatung, Beistand und Information (Lobbi). Nicht die einzige Ungereimtheit im Zusammenhag mit der Boizenburger Polizei.

In der mecklenburgischen Kleinstadt gibt es seit Jahren eine rechte Szene, die „Nationalen Sozialisten Boizenburg“. Lange sprachen die zuständigen Stellen von „Rivalitäten zwischen Jugendgruppen“, wenn es zu solchen Übergriffen kam. Das habe sich aber geändert, sagt Bleis.

„Pech gehabt“ habe er, sagt Jonas selbst: Gegen 20.40 Uhr war er an jenem Samstag auf dem Weg zum Bahnhof, als ein Wagen mit Angehörigen der rechten Szene vorbeikam. Sie hielten sie an, der Fahrer stieg aus, wollte zuschlagen. Jonas wehrte sich mit Pfefferspray. Die Angreifer holten Verstärkung, so dass schließlich acht Rechte in zwei Autos Jagd auf ihr Opfer machten. In einem Hauseingang erwischten ihn seine Verfolger dann, bewaffnet mit Holzlatten. Als er zu sich kam, war die Polizei da. „Ich hoffte, die geben mir was zum Verbinden, ich blutete ja“, sagt Jonas. „Aber die wollten bloß meine Personalien.“

Als Jonas’ Freundin ihn später am selben Abend aus dem Krankenhaus abholte, wurde aus einem Auto heraus eine Flasche nach ihr geworfen. Sie solle sich auch nicht wundern, wenn sie „hier mit Antifa-Aufnähern“ herumlaufe, hätte tags darauf ein Polizist gesagt, erzählt Jonas. Am Sonntag fiel ihm dann auch auf, dass in seiner eigenen Anzeige – wegen gefährlicher Körperverletzung – nur eines der Fahrzeuge erwähnt wurde.

Am Dienstag bestellte die Polizei Jonas dann ins Revier: Im Beisein seiner Großmutter wurde Jonas unterstellt, die Rechten angegriffen zu haben. „Diesen Verlauf kann ich so nicht bestätigen“, sagt der Revierleiter auf taz-Anfrage. Ein Vorgang gegen den Schüler sei aber anhängig.

Derweil wird ohnehin gegen Beamte jenes Reviers ermittelt: So sollen Polizisten sieben Jugendliche „unangemessen“ behandelt haben: Nach einer Protestaktion gegen eine rechte Mahnwache sollen die Jugendlichen dann mit gezogener Waffe festgenommen worden sein. Eine 17-Jährige wurde demnach von Beamten abgetastet, obwohl auch Beamtinnen vor Ort waren. Auch habe die 17-Jährige sich als einzige vollständig entkleiden müssen, erklären die Jugendlichen. Sexistische und rassistische Sprüche fielen. Anrufe bei den Eltern wurden unterbunden.

„Ja, Ermittlungen laufen. Die Vorwürfe werden strafrechtlich überprüft“, sagt eine Polizeisprecherin aus Schwerin. Aber: „Die Beschuldigungen ließen sich bisher nicht erhärten.“ ANDREAS SPEIT