Heilen mit den Händen

Noch nie wurde so viel geknetet, gestrichen, gedrückt und vibriert. Massagen lösen Verspannungen, bauen Stress ab und lindern sogar Depressionen. Rolfing, Shiatsu und Ayurveda sind derzeit besonders populär. Worin unterscheiden sie sich?

Berufsverbände vermitteln qualifizierte Therapeuten

VON PIA M. SOMMER

Neulich auf einer Party. Zwei Frauen unterhalten sich. „Er ist nett, sieht ganz gut aus – und er ist Masseur“, erzählt die eine über einen Freund und rollt genüsslich die Augen. „Oh, Masseur“, erwidert die andere interessiert.

Schon der Gedanke an eine Massage löst Wohlbefinden aus – auch wenn es beim Massieren nicht per se sanft zugeht. Gerade bei der klassischen Variante kann einem das Streichen, Kneten, Klopfen, Reiben und Vibrieren arg zusetzen. Umso schöner ist es, wenn danach Verspannungen sich lösen, Schmerzen vergehen und Erholung einsetzt.

Manuelle Therapien, wie Massagen im Fachjargon heißen, wirken nämlich auf Körper und Geist. Sobald die Haut berührt wird, entsteht ein Reiz, der blitzschnell über Nervenbahnen und Rückenmark ans Gehirn geleitet wird. Durch die Berührung schüttet der Körper das Hormon Oxytocin aus. Das reduziert Stress, nimmt Angst und lindert Schmerzen. Zugleich regt eine Massage die Bildung von Endorphinen an. Diese „Glückshormone“ bewirken Entspannung und ein Wohlgefühl.

Das kann sogar Depressiven helfen, bewies Bruno Müller-Oerlinghausen in einer Studie an der Psychiatrischen Klinik des Theodor-Wenzel-Werks in Berlin. „Depression ist eine Körperkrankheit. Deshalb dachten wir, es muss möglich sein, sie über einen körperlichen Zugang zu beeinflussen, nicht nur über den Kopf oder Stoffwechsel.“ Die Patienten erhielten neben ihren Medikamenten jeweils fünf „Slow-Stroke-Massagen“, alle drei Tage eine Stunde lang. Diese auch als kalifornische Ganzkörpermassage bekannte Anwendung zeichnet sich durch langsame streichende Bewegungen aus. „Die Patienten reagierten darauf sehr positiv. Ihre Stimmung verbesserte sich, sie fühlten sich entspannt und aktiviert“, berichtet der Mediziner: „Haut und Tastsinn sind konstitutiv für die menschliche Identität und für die primäre Interaktion mit der Welt. Diese ist bei depressiven Menschen zutiefst gestört.“

Meist jedoch sollen manuelle Therapien dem Körper seine Beweglichkeit wiedergeben. Je nach Methode geschieht dies auf unterschiedlichen Wegen. Beispiel Rolfing: „Wir setzen beim Bindegewebe an. Es ist so manipulierbar, dass sich durch eine Behandlung Fehlhaltungen korrigieren lassen“, erklärt Angelika Gürtler vom Vorstand der European Rolfing Association. „Ziel ist es, den Körper in Einklang mit der Schwerkraft zu bringen, damit sich ein Mensch müheloser aufrichten und geschmeidiger bewegen kann.“ Durch genaue Beobachtung identifiziert der Therapeut bestehende Blockaden beim Patienten. Dann übt er mit Händen und Ellbogen gezielt Druck auf das Bindegewebe aus, um Verklebungen zu lösen. Diese entstehen im Laufe der Jahre, wenn das Bindegewebe, zum Beispiel durch chronische Fehlhaltungen, seine Elastizität verliert.

„In zehn Sitzungen wird eine dauerhafte Veränderung der Haltung erreicht“, berichtet Gürtler. „Eine Auffrischung nach ein paar Jahren kann allerdings nicht schaden.“

Das japanische Shiatsu betrachtet den menschlichen Organismus als ein sich selbst regulierendes Energiesystem, das ein bestimmtes Maß an Belastung verarbeiten kann. Wird dieses Maß jedoch überschritten, kommt es zu Stockungen. Shiatsu will eine Balance der Lebensenergie schaffen und erhalten, setzt daher nicht bei konkreten Beschwerden wie etwa Rückenschmerzen an. „Wörtlich bedeutet Shiatsu Fingerdruck“, erläutert Anna Christa Endrich von der Gesellschaft für Shiatsu in Deutschland (GSD). „Dieser Druck bedeutet vor allem Halten im Sinne von einfach da sein.“ Mit Finger, Handflächen, Ellbogen, Unterarme, Knie und Füßen spürt die Therapeutin den Energiebahnen (Meridiane) des Körpers nach. Auch Dehnungen und Drehungen gehören zu ihrem Repertoire. Der Behandlungsablauf variiert, sagt Endrich. „Ich kann nur berühren, was in dem Moment der Behandlung da ist. Deshalb werden jeweils andere Meridiane aktiviert.“ Die Berührungen förderten nach außen, was der Mensch jeweils am nötigsten brauche. „Shiatsu regt den Fluss der Lebensenergie an und wirkt sowohl entspannend als auch belebend.“ Um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen, empfiehlt die GSD mindestens fünf Behandlungen im Abstand von ein bis zwei Wochen.

Auch Ayurveda betrachtet den Menschen ganzheitlich. Oberstes Ziel ist es, Gesundheit zu erhalten. Dazu kennen Behandler eine ganze Reihe von Massagen. Öl-Anwendungen, wie die ayurvedische Ganzkörpermassage und der Stirnguss, sind hierzulande allerdings am populärsten. „Sie sind zu sehr in den Wellness-Bereich geschwappt“, bedauert Ernst Schrott, Arzt und im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Ayurveda. „Eigentlich sind Öl-Anwendungen eine Therapie. Sie werden eingesetzt, um den Körper zu reinigen, den Geist zu entspannen und Krankheiten zu heilen.“ Welches Öl und welche Kräuterzusätze verwendet werden, hänge vom Konstitutionstyp des Patienten ab – Vata, Pita oder Kapha. „Der Ganzkörperölguss – Abhyanga genannt – sollte vierhändig gegeben werden“, erklärt Schrott. So sei der Effekt am stärksten. Kundige Therapeuten massierten zudem vom Kopf zu den Füßen – nicht umgekehrt.

Wie aber finden Verbraucher seriöse Anbieter? Bei der klassischen Massage ist die Ausbildung gesetzlich festgelegt, die Berufsbezeichnung geschützt. Ayurveda, Shiatsu und Rolfing hingegen kann im Grunde jeder verabreichen. Alexandra Borchard von der Verbraucherinitiative rät daher: „Man sollte den Therapeuten nach seinem Ausbildungsweg fragen und sich Zertifikate zeigen lassen. Berufsverbände führen außerdem Listen ihrer anerkannten Praktiker.“ Ebenfalls wichtig: Vor einer Massage bestehende Krankheiten ansprechen und sich bei Zweifeln von einem Arzt beraten lassen! Denn nicht jede Massage ist für jeden geeignet.

Berufsverbände und Therapeutenlisten: www.rolfing.org, www.shiatsu-gsd.de, www.ayurveda.de. Ein Infoabend zu Rolfing findet am 12. Dezember 2004, 17.30 Uhr stattInfo: www.BerlinRolfing.de