Es war einmal in Mexiko

Über Hoffnungen wie Hindernisse im geografischen und filmischen Grenzgebiet zwischen Mexiko und den USA: „Grenzüberschreitungen: Latino Cinema aus den USA“ im Arsenal

VON THOMAS KLEIN

Wenn die Vereinigten Staaten eher herablassend auf ihren „Hinterhof“ Mexiko, die Nachbarn im Süden und die eigene Bevölkerungsgruppe der Latinos blicken, hat das verschiedene Gründe. Möglicherweise geht es dabei aber auch um ein schleichendes Schuldgefühl. Ohne die billigen Arbeitskräfte aus Lateinamerika würden in den USA ganze Wirtschaftszweige zusammenbrechen.

Größte Teile der US-Bundesstaaten Texas, New Mexiko, Arizona und Kalifornien bildeten noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts den Norden Mexikos. Und obwohl Hollywood damit eigentlich auf mexikanischem Boden gründet, haben dort auch heute noch die stereotypen Eckpunkte von Machismo und Folklore, Religiosität und Aberglaube, Landarbeiter und Low Rider, Banditos und Drogenschieber Bestand. Daran hat selbst der Erfolg latinoamerikanischer Filmemacher wenig geändert.

Und dennoch gab es auch Versuche, mit und in Hollywood die vielschichtige und auch widersprüchliche Kultur der Menschen im Grenzgebiet darzustellen und ein originär latinoamerikanisches Kino zu entwickeln. In jeder Hinsicht beispielhaft ist dafür die Filmreihe „Grenzüberschreitungen: Latino Cinema aus den USA“, die jetzt das Arsenal zeigt, unterstützt von der Kulturabteilung der US-Botschaft.

„El Mariachi“ und der in Texas geborene Robert Rodriguez stehen dabei für das Konzept, mit den Mitteln des Genre-Kinos die Hollywood-Klischees ironisch zu brechen und ein positives Latino-Bild zu zeichnen. Den Film um den namenlosen Gitarrenspieler des Titels, der mit einem Profikiller verwechselt wird und so von einer Schießerei in die nächste gerät, hatte Rodriguez 1992 für mickrige 7.000 Dollar gedreht und ursprünglich als „straight to video“-Produktion für den spanischsprachigen Markt geplant.

Stattdessen fand „El Mariachi“ seinen Weg erst nach Sundance und dann zu einer ernsthaften wie erfolgreichen Auswertung in den Kinos. Die Mexikaner sind in der Mariachi-Trilogie, die Rodriguez über die Jahre entwickelt hat (zuletzt: „Irgendwann in Mexico“), auch mal schmuddelig, aber immer einfallsreich und nicht halb so unangenehm wie die naiven, arroganten Gringos mit ihrer Jagd nach schnellem Geld, die man sonst aus Hollywood gewohnt ist.

So beispielsweise aus Walter Hills Macho-Spektakel „Ausgelöscht“ (1987). Hier dient der Norden Mexikos lediglich als exotische Kulisse für den Disput zwischen zwei US-Amerikanern, werden gesichtslose einheimische Handlanger dutzendweise niedergemäht, bis der weiße Held das Schlachtfeld mit gestärktem Ehrgefühl verlassen kann. Bei Rodriguez dagegen sind die Anglos die Opfer, weil sie südlich der US-Grenze nichts zu suchen haben und nichts gewinnen können.

Dass Anglos und Latinos im Grenzgebiet eine gemeinsame Geschichte und Kultur verbindet, zeigt John Sayles’ „Lone Star“ (1996). Als komplexes Melodram um verbotene Liebe und die Sünden der Eltern skizziert Sayles, wie in der texanischen Grenzstadt Frontera eine Schicksalsgemeinschaft entstanden ist. Und die Spurensuche, die der wortkarge Sheriff Deeds beginnt, bedroht den faulen Frieden im Ort. Denn das Skelett mit Sheriffstern, das Deeds gefunden hat, könnte seinem rassistischen Vorgänger Wade gehören, der vor vier Jahrzehnten den Ort drangsalierte; als Täter kommt eigentlich nur Deeds’ längst verstorbener, in Frontera immer noch verehrter Vater in Frage. Das Verbrechen will niemand aufgeklärt haben, weder die Anglos, für die die Bluttat eine Selbstreinigung darstellt, noch die Latinos, die nicht an eine Vergangenheit als Menschen zweiter oder dritter Klasse erinnert werden wollen. Um das durchaus widersprüchliche Selbstverständnis der integrierten, etablierten Latinos in den USA darzustellen, braucht Sayles nur zu zeigen, wie eine Latino-Geschäftsfrau abends auf der Terrasse liegt, illegale Einwanderer auf ihrem Grundstück beobachtet und dann prompt den US-Grenzschutz anruft.

Freundlicher und nostalgischer fällt Gregory Navas „My Family/Mia Familia“ (1995) aus. Von den Zwanzigern bis in die frühen Achtzigerjahre folgt der Film der Familie von José Sanchez, der als Habenichts über die damals noch grüne Grenze nach East Los Angeles kommt. Nava erzählt die Geschichte sentimental, aber nicht ohne Ecken und Kanten. Begegnungen mit den Anglos sind immer unerfreulich, ob man es mit rassistischer Polizei oder blasierter Mittelklasse aus Suburbia zu tun hat. Die Latinos setzen dem in Navas Film fatalistische Gelassenheit und subtilen Widerstand entgegen. „Das hier war Mexiko, als ich hier ankam“, steht über dem Grab eines Altvorderen in East L. A. „Und wo ich liege, wird immer Mexiko sein.“

Bis 14. November, Arsenal, Potsdamer Straße 3, TiergartenTermine siehe Programm