Friedhof der Standbilder

Sozialistisches Disneyland und fesselndes Open-Air-Museum zugleich: der gigantöse Statue Park in Ungarns Hauptstadt Budapest

VON FRANK LUERWEG

Da würde sie nicht hingehen. Die Empfangsdame im Hotel Victoria verzieht abfällig den Mund. Wenn man wirklich etwas über den Kommunismus erfahren wolle, dann solle man doch, bitte, das House of Terror besuchen. Aber nicht den Statue Park. Schon gar nicht bei Regenwetter.

Das Parlamentsgebäude jenseits der Donau, die den westlichen Stadtteil Buda vom östlichen Pest trennt, scheint wie hinter Milchglas. Ein Gebäude, auf das die Stadtbewohner stolz sind – so stolz, dass zwei von ihnen auf die Idee kamen, es aus Zündhölzern nachzubauen. Anfang 1962 köpften János Pap und seine Frau das erste Streichholz, 100.000 weitere sollten bis zum August 1965 folgen. Nach mehr als 7.000 Arbeitsstunden war das Kunstwerk fertig und so groß, dass es nicht mehr durch die Haustür passte. Als man es in das Parlament schaffen wollte, um es dort in einer Vitrine auszustellen, musste man die Wohnungswand durchbrechen, und die beiden Bastler durften auf Staatskosten umziehen. So will es zumindest die Legende.

Der Statue Park dagegen war anfangs umstritten: Die Kritiker hielten die Idee, mehr als 40 überlebensgroße Statuen und Ehrentafeln aus der Zeit des Kommunismus zu einer skurrilen Sammlung zusammenzustellen, für einen schlechten Scherz. Sie prognostizierten, niemand werde das Open-Air-Museum 15 Kilometer südlich des Stadtzentrums besuchen. Als der Park im Herbst 1993 eröffnet wurde, widerlegte er seine Gegner schnell; dennoch ist er manchen noch heute ein Dorn im Auge: Vielleicht, weil er an eine Vergangenheit erinnert, die man lieber vergessen möchte – schließlich ist Ungarn mit Riesenschritten auf dem Weg in die Zukunft. Im Stadtzentrum etwa schießen neue Bars und Cafés aus dem Boden, eine hipper als die andere.

Hinter dem tempelähnlichen Eingang öffnet sich der Park, gerade mal halb so groß wie ein Fußballfeld. Die gut 20 Skulpturen und ebenso vielen Gedenktafeln standen einst in den Straßen und auf den Plätzen Budapests; mit dem Kommunismus stürzten dann auch die verhassten Standbilder. 9,5 Meter misst das größte von ihnen und erinnert ein wenig an den unglaublichen Hulk auf Steroiden, selbst seine Haut schimmert grünlich: ein vorwärts stürzender Mann mit aufgerissenem Mund und ausgebreiteten Armen, in der Linken eine Flagge, die Rechte zur Faust geballt. Ein anderes Steindenkmal trägt auf Russisch und Ungarisch die Aufschrift „Wir danken den sowjetischen Rettern für unsere Freiheit“ – ergänzt um ein rebellisches „Russen, geht nach Hause!“ .

Als „sozialistisches Disneyland“ preist die Traveller-Bibel „lonely planet“ den Park. Die faltige Frau in dem kleinen Verkaufsbüdchen am Eingang scheint das allerdings nicht zu kümmern. Ein Griff zum Schalter, dann schmettern den Neuankömmlingen aus dem alten Röhrenradio neben ihrem Fenster ungarische Arbeiterhymnen entgegen. Ja, kalt sei es heute, nicht gerade frühlingshaft. „Daher sind auch so wenige Besucher da.“ Sie lacht herzlich, als hätte jemand einen guten Witz erzählt. Vor ihr ausgebreitet liegt kommunistischer Kitsch, Lenin-Kerzen für romantische Abende, der „letzte Atemzug des Sozialismus“, abgefüllt in Blechdosen, daneben Kühlschrank-Magnete mit Aufschrift: „hervorragender Arbeiter“, übersetzt sie. „Fotografieren Sie ruhig.“

Elf Jahre ist das Open-Air-Museum nun schon alt; fertig ist es immer noch nicht: So fehlte es an Geld, um die geplante Ziegelmauer fertig zu stellen, die das Areal ursprünglich umgeben sollte. Lediglich die rote Fassade an der Frontseite, in deren Aussparungen vier Meter hohe Figuren von Lenin, Marx und Engels thronen, steht schon. „Zwischen diesen Statuen spazieren zu gehen ist eine schreckliche Erfahrung. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es sein könnte, ein ganzes Leben unter ihnen zu verbringen“, schrieb eine Besucherin aus Florenz ins Gästebuch. Weniger empfindsame Gemüter werden es vielleicht eher mit dem ostdeutschen Touristen halten, der auf der Internetseite des Statue Parks (www.szoborpark.hu/) zitiert wird: „Man vergisst leicht, dass es beim Kommunismus ebenso um schlechten Geschmack ging wie um Unterdrückung.“