Lage in Darfur gerät „außer Kontrolle“

UN-Sicherheitsrat hört düsteren Lagebericht zum Westen des Sudan: Kämpfe nehmen zu, Darfur zerfällt in Warlord-Gebiete. Scharfe Kritik an Regierung und Rebellen. Auf einer Sondersitzung in Nairobi übernächste Woche will die UNO Klartext reden

VON DOMINIC JOHNSON

Die Krise in der sudanesischen Kriegsregion Darfur gerät außer Kontrolle und könne zu einem kompletten Zusammenbruch von Recht und Ordnung führen. Diese pessimistische Lageeinschätzung gab am Donnerstag der UN-Sonderbeauftragte Jan Pronk vor dem Sicherheitsrat ab, der zu seiner monatlichen Sudan-Sitzung zusammengetreten war. Pronks düsteres Bild: In immer mehr Regionen brechen Kämpfe aus; die Kriegsparteien provozieren einander; immer mehr Milizen bilden sich; und am problematischsten: Sowohl der Regierung wie auch der Führung der Darfur-Rebellen entgleite allmählich die Kontrolle über ihre bewaffneten Kämpfer vor Ort.

„Der Geist ist aus der Flasche“, sagte Pronk: Nachdem die Regierung paramilitärische Milizen aufgestellt habe, um Darfurs Rebellen zu bekämpfen und Zivilisten zu vertreiben, sei sie jetzt nicht mehr in der Lage, deren Aktivitäten – „reine ethnische Säuberung“ – einzudämmen. Die Grenzen zwischen Armee, Polizei und Milizen würden immer undeutlicher. Kritik übte Pronk auch an den Darfur-Rebellenbewegungen: Viele ihrer Kommandanten seien im Begriff, sich in plündernde Warlords zu verwandeln. „Wenn dieser negative Trend nicht umgekehrt wird, ist es ein Rezept für Desaster“, so Pronk.

Der Beauftragte stellte dem Sicherheitsrat einen Bericht vor, der „promptes Handeln“ seitens der UNO verlangte, um gegen Kriegsverbrechen eines „großen und systematischen Ausmaßes“ vorzugehen. „Ohne ein Ende der Straflosigkeit wird sich das Banditentum verstärken“, so der Bericht. Bisherige Schritte der Regierung gegen die für Vertreibungen verantwortlichen Janjaweed-Milizen seien lediglich „Nadelstiche“ gewesen.

Sofortige Konsequenzen aus dem Bericht, der düsterer war als alle bisherigen Lageeinschätzungen der UNO in Darfur, zog der Sicherheitsrat nicht. Am 18. November will der Rat zu einer außerordentlichen Sitzung zu Sudan in Kenias Hauptstadt Nairobi zusammenkommen – die erste UN-Sicherheitsratssitzung außerhalb der UN-Zentrale seit einem Jahrzehnt. Bis dahin müsste ein Handlungskonzept auf dem Tisch liegen, damit die UNO ihre Glaubwürdigkeit bewahrt. Pronk forderte den Rat auf, in Nairobi eine deutlichere Sprache als bisher zu Darfur zu sprechen.

Das UN-Logistikzentrum in Sudans Hauptstadt Khartum, das die technischen Aspekte der Hilfe für Darfurs 1,6 Millionen Kriegsvertriebene koordiniert, bestätigte zugleich in einem neuen Lagebericht, dass weite Teile Darfurs nicht mehr für internationale Hilfe zugänglich sind. In der Provinz West-Darfur an der Grenze zu Tschad seien UN-Helfer nur noch in der Provinzhauptstadt El Geneina aktiv. Hilfsflüge nach Darfur hätten im Oktober lediglich 52 Prozent der benötigten Güter liefern können.