Grüne sehen sich bei Türkeibesuch bestätigt

Delegation der deutschen Grünen findet in der Türkei keine Hinweise auf den Einsatz deutscher Panzer gegen kurdische Zivilisten. Für Reformen in der Türkei wird der Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen als essenziell angesehen

ISTANBUL taz ■ „Niemand hier weiß etwas über den Einsatz deutscher Panzer gegen kurdische Zivilisten.“ Claudia Roth, Parteichefin der Grünen, ist sich ganz sicher. „Wenn es, wie im ZDF behauptet, in den letzten Wochen tatsächlich Einsätze deutscher Panzer gegen die kurdische Zivilbevölkerung gegeben hätte, wären unsere Gesprächspartner die Ersten gewesen, die dagegen protestiert hätten.“

Zusammen mit Winfried Nachtwei, dem verteidigungspolitischen Experten der Grünen-Fraktion, war Roth am Donnerstag an die türkisch-irakische Grenze nach Sirnak gereist, um dort die Bürgermeister von Silopi, Cizre und Sirnak zu treffen, allesamt Orte, an denen es in den letzten Monaten immer wieder zu Angriffen der PKK gekommen war und wo angeblich von Deutschland gelieferte Panzer eingesetzt worden sein sollen.

Die Bürgermeister, allesamt von der oppositionellen prokurdischen Dehap, hätten ganz andere Sorgen, erklärte Roth der taz nach ihrem Besuch in der Grenzregion. Für die kurdischen Vertreter dort sei es wichtig, endlich von den türkischen Behörden als Sprecher der Bevölkerung ernst genommen und wie Kommunalvertreter aus anderen Regionen des Landes auch behandelt zu werden. Neben den ideellen Fragen im türkisch-kurdischen Verhältnis gehe es aber auch um materielle Fragen. So erwarten die Kurden, dass die in Ankara versprochenen Entschädigungen für die Zerstörungen im Krieg gegen die PKK endlich gezahlt werden und Menschen bei ihrer Rückkehr in die zerstörten Dörfer finanziell unterstützt werden. Der Tenor der Menschen vor Ort, so Roth, sei ganz eindeutig gewesen. „Ja es gibt Fortschritte aufgrund der Reformen in Ankara, aber die Umsetzung geschieht noch sehr zögerlich oder gar nicht.“

Dabei räumten die Kurdenvertreter ein, dass die Aufkündigung des Waffenstillstands durch einen Teil der ehemaligen PKK-Guerilla den Friedens- und Versöhnungsprozess erheblich stören könnte. „Die Wiederaufnahme von Angriffen durch die PKK wird in den kurdischen Regionen der Türkei von der ganz großen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt“, so das Fazit der grünen Delegation. „Die Leute wollen wirtschaftliche Entwicklung und keine neuen Kämpfe.“

In Gesprächen mit Lkw-Fahrern am Grenzübergang Habur sei besonders deutlich geworden, wie dringend eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage sei. „Jeder Fahrer“, so Roth, „hatte große Angst, auf dem Weg nach Bagdad attackiert zu werden, doch keiner konnte es sich leisten, zu Hause zu bleiben.“

Vor dem Abstecher in den Südosten des Landes hatte sich die gesamte grüne Fraktions- und Parteispitze in Ankara und Istanbul über den Stand des türkischen Reformprozesses informiert und mit Ministerpräsident Tayyip Erdogan über den Fortschrittsbericht der EU-Kommission gesprochen. Insgesamt, so Fraktionschefin Christa Sager, habe sich durch die vor Ort gewonnenen Eindrücke die Einschätzung der Grünen bestätigt, dass der Beginn von Beitrittsverhandlungen für den Reformprozess in der Türkei essenziell sei.

JÜRGEN GOTTSCHLICH