Gräber nach einem Atlantis des Nordens

Die polnische Kulturgemeinschaft Borussia erhält den diesjährigen Lew-Kopelew-Preis für ihre Geschichtsschreibung

Zunächst sieht es so aus, als wären da gar keine Augen. Nur zwei schmale Schlitze sind in seinem Gesicht zu sehen, während er auf der Bühne von gratulierenden Händen bedrängt wird. Robert Traba, Gründungsmitglied und Vorsitzender der polnischen Kulturgemeinschaft Borussia, kann schon seit geraumer Zeit nicht mehr aufhören, über das ganze Gesicht zu strahlen.

Eben hat Fritz Pleitgen, Vorsitzender des Lew-Kopelew-Forums, der Kulturgemeinschaft in der Kreissparkasse Köln den Lew-Kopelew-Preis verliehen. Der Verein wird mit dem undotierten Preis für seine unparteiische Darstellung der Geschichte und der Gegenwart Ostpreußens ausgezeichnet, wie Pleitgen sagt.

Traba ist gerührt und er freut sich. Vor allem aber hat er Lust bekommen, die anstrengende, viel Zeit in Anspruch nehmende Arbeit in seinem seit 1990 bestehenden Verein weiter zu verfolgen. „Das ist eine solche Ehre. Diese Anerkennung ist für uns sehr wichtig“, sagt Traba.

Traba und seine Vereinskollegen sind nicht nur freundliches Händeschütteln und anerkennende Worte gewohnt. Gerade zu Beginn der Arbeit im polnischen Olsztyn sei dem Verein ein kalter Wind der Ablehnung entgegen geweht. „Wir wollten auch das Erbe anderer Nationen pflegen, die auf dem Gebiet unserer Heimat einmal gelebt haben“, sagt Traba. Weil dabei viel Vergessenes ausgegraben werden musste, nennt Traba seine Heimat heute auch „Atlantis des Nordens“. Gerade ältere Bewohner hätten diesen Ansatz als Verrat erlebt. „Man wollte sowohl die Verbrechen der Nationalsozialisten als auch die polnischen Reaktionen darauf totschweigen.“

Traba schmunzelt und wieder verschwinden seine Augen dabei fast hinter Hautfalten. „Unser Name war für viele eine reine Provokation.“ Die einstmals 18 Gründungsmitglieder des Vereins machten das lateinische Wort für Preußen zu ihrem Vereinsnamen. Vielen Landsleuten hat das nach Auskunft Trabas nicht gefallen. Um so größer ist Trabas Freude darüber, dass „tausende Kilometer weit entfernt jemand an uns denkt und uns sogar einen Preis verleiht“.

Aber auch im Heimatland haben viele Menschen durch die kontinuierliche Arbeit der mittlerweile 114 Vereinsmitglieder ihre Vorurteile abgebaut. Schon im ersten Jahr ihres Bestehens buddelten Borussiamitglieder zusammen mit deutschen Jugendlichen einen alten deutschen Soldatenfriedhof aus. Im Laufe der Zeit hatten die polnischen Dorfbewohner die Gräber überwuchern lassen. Nach kurzer Zeit hätten die Dorfbewohner ihr Misstrauen den jungen Leuten gegenüber abgelegt. „Heute stehen zu allen Feiertagen Kerzen auf den Gräbern“.

CLAUDIA LEHNEN