Ankunft der Selbstironie

Das Fernsehen ist das Original: Der brasilianische Choreograf Bruno Beltrao entmystifiziert mit der „Grupo de Rua de Niterói“ den HipHop. Hinter dem Bildschirm ist der Bildschirm, und Coolness kippt ins Lächerliche

Die Jungs haben echt Nerven. Minutenlang stehen sie da, starren ins Publikum, kompakte Muskeln zeichnen sich unter schlabbrigen Klamotten ab. Stille. Zwar befinden wir uns auf Kampnagel und damit in einer zeitgenössischen Tanzperformance, die Compagnie Grupo de Rua de Niterói des brasilianischen Choreografen Bruno Beltrao steht aber weniger für Konzepttanz als für HipHop. Und da geht es normalerweise gleich zur Sache, mit Beats und Akrobatik, in herausfordernden „battles“, bis der Sieger feststeht. Winner or Loser: eine Dynamik, die sich auf der Bühne meist schnell erschöpft.

Nicht so bei Beltrao. Er fordert seine Zuschauer, wirft ihnen nicht die Brocken hin. Doch er schont auch seine Leute nicht: Wenn sie loslegen – jeder der vier ein ganz eigener Typ, aber wenn es darauf ankommt, perfekt synchron –, ist das ein Tanz, der differenziert und komisch die Anatomie der Bewegungen freilegt. Ein Tanz, in dem Samba und Salsa mitschwingen, der virtuos ist und auf vorgeführte Kunststückchen verzichten kann.

Mit frecher Selbstironie verlegt Beltrao die Sensation stattdessen ins Imaginäre. „Was ist echt?“ lautet die entscheidende Frage im HipHop. Schwer zu sagen, wo doch die heutige Generation den Tanz im Fernsehen gelernt hat. „Fernsehhocker“ bedeutet auch der Titel der Show: Telesquat. Zu Soundtrack-Samples aus Filmen wie Matrix oder The 6th Sense verlässt einer nach dem anderen die reale Bühne, erscheint auf einem der seitlich angebrachten Screens, setzt zum Sprung an und landet im Monitor gegenüber.

Repräsentieren (represent!), ein anderer wichtiger Vorgang in der stilverliebten HipHop-Gemeinde, lädt zu kuriosen Verwandlungen ein. Kommentiert wird in Wort und Schrift, lakonisch und pointiert. Ein Thema, mit dem sich der moderne Bühnentanz allgemein derzeit beschäftigt, der nach der (Un-)Möglichkeit der Übersetzbarkeit von Bewegung fragt. Doch so lässig, wie es hier geschieht, muss man den „Pinguin“, der mit den Hüften wedelt, den „Soldaten“ mit den wirren Locken, die nervös zuckende „Schildkröte“ einfach hinreißend finden.

HipHopper werden die Show, die die eigenen Ideale so unverschämt gekonnt auf die Schippe nimmt, lieben oder hassen. Winner or Loser. Dazwischen geht nichts. Shooting-Star Beltrao steht im zeitgenössischen Bühnentanz zu Recht auf der Gewinnerseite. Respekt! Marga Wolff

nächste Vorstellungen: 10.–13.11., 20.30 Uhr, Kampnagel