Eruption des Weservulkans

Werder Bremen holt sich mit dem 1:1 bei Hertha BSC den Punkt, auf den man die meiste Zeit hingespielt hat, dennoch erleidet Trainer Schaaf einen mentalitätsfernen Temperamentsschub

AUS BERLIN MATTI LIESKE

Thomas Schaaf ist ein Mensch, wie man sie gern in der Werbung für norddeutsche Biere verwendet: Bedächtig, wortkarg, praktisch nicht aus der Ruhe zu bringen. Umso erstaunlicher der Auftritt des Trainers von Werder Bremen am Samstag nach dem 1:1 seines Teams bei Hertha BSC. Gemessen an seinem sonstigen Gebaren, trat Schaaf dort auf wie eine hochbrisante Mischung aus Giovanni Trapattoni und dem Eishockeytrainer Hans Zach. Ein veritabler Weservulkan war plötzlich aus dem Meer der Ruhe emporgestiegen. Verursacht hatte die Eruption Schiedsrichter Albrecht, der erst – völlig zu Recht – eine Minute mehr als angezeigt nachspielen ließ, dadurch den Ausgleich der Hertha ermöglichte, und anschließend den zu diesem Zeitpunkt leicht erbosten Werder-Coach hochmütig hinfort winkte, was diesen nunmehr schwer erzürnte. Und weil er gerade so schön in Fahrt war, gab Schaaf auch noch dem hübsch gelb-blauen Spielball der Firma Nike einen Hieb auf die Mütze, weil dieser „einfach nicht zu uns passt“. Da schämte sich der runde Gelbling ganz arg und rollte still von dannen.

Es war überhaupt ziemlich paradox, dass nach der Partie jene, die eigentlich erreicht hatten, was sie wollten, stocksauer waren, und jene, die ihr Ziel komplett verpasst hatten, ausnehmend glücklich. Die Berliner hatten unbedingt ihren zweiten Heimsieg einfahren wollen, um sich in der vorderen Hälfte der Tabelle zu etablieren und ihre oft geäußerten Ansprüche auf höhere Weihen zu untermauern. Bremen war mit der ganzen Arroganz eines Spitzenteams angereist, welches überzeugt ist, dass es bei einem Gegner wie Hertha auch mit minimierten Anstrengungen allemal zu einem Punkt reicht und mit etwas Glück zum Sieg. Schließlich verfügt Werder über den besten Angriff der Liga, ein Tor schießt man fast immer.

Geprägt war das Match jedoch eher davon, dass die Bremer Abwehr auch nicht übel ist, und die Berliner zwar die bislang beste Defensive der Liga besitzen, aber offensiv zu den Schwächsten gehören. Während die Werderaner „müde Beine“ (Schaaf) aufgrund ihres Champions-League-Engagements beklagten und nur das Nötigste taten, war vom geplanten Angriffsschwung der Gastgeber überhaupt nichts zu sehen. „Zu kompliziert, zu viele Ballkontakte“, rügte Hertha-Trainer Falko Götz. „Wir haben uns von Werder einlullen lassen“, meinte sein Spieler Niko Kovac. Torchancen waren beidseitig inexistent, „es hat geklemmt an Höhepunkten, fantastischen Aktionen“, räumte Thomas Schaaf ein. Zieht man das hanseatische Understatement ab, bleibt übrig: ein lausiges Fußballspiel.

Dass die Werderaner am Ende Gift und Galle spuckten, anstatt zufrieden ihren Punkt mitzunehmen, lag daran, dass sich in der 82. Minute doch noch der beschworene Wundersturm bemerkbar machte. „Wenn zwei nicht treffen, ist es wichtig, dass man nachschieben kann“, erläuterte Schaaf, warum er entgegen der Anregung Otto Rehhagels nicht daran denkt, den griechischen EM-Helden Angelos Charisteas abzugeben. Kaum eingewechselt, entwischte dieser dem ebenfalls gerade eingewechselten Fredi Bobic, weil sich der aufs Trikotzerren konzentrierte statt auf den Ball, und traf zum vermeintlichen Siegtor. Kalkül perfekt aufgegangen, glaubten die Bremer – bis zum Ausgleich in der Nach-Nachspielzeit.

Für die Herthaner kam diese Entwicklung der Dinge einem Mirakel gleich. „Wenn wir zuletzt 0:1 in Rückstand geraten sind, hatte man nicht das Gefühl, dass wir den Druck aufbauen können, um das noch wettzumachen“, gab Manager Dieter Hoeneß die allgemeine Stimmungslage im Olympiastadium nach der Bremer Führung wieder. Zumal inzwischen das berüchtigte Torchancenverstolperungsgespann Bobic/Wichniarek auf dem Platz stand, und Spielmacher Marcelinho das Bremer Unbehagen am gelb leuchtenden Spielgerät zu teilen schien. Es passt zur derzeitigen Hertha, dass es der Abwehrspieler Alexander Madlung, an diesem Tag bester Mann seines Teams, war, der mit der letzten Aktion des Spiels eine Marcelinho-Ecke ins Tor köpfte.

„Wichtig ist das Wissen, dass man auch mal Glück haben kann“, freute sich Dieter Hoeneß am Ende einer eigentlich verkorksten Partie und tat die Überzeugung kund, dass man „an guten Tagen“ jede Mannschaft schlagen könne. Das, so zeigte trotz des Bremer Last-Second-Blackouts das Match im Olympiastadion, ist der Unterschied zu den Werderanern: Die können auch an schlechten Tagen jede Mannschaft schlagen.

Hertha BSC: Fiedler - Schröder, Madlung, Simunic, Fathi (83. Neuendorf) - Müller (67. Bobic), Kovac, Gilberto - Bastürk, Marcelinho - Rafael (75. Wichniarek)Werder Bremen: Reinke - Stalteri, Ismaël, Baumann, Schulz - Jensen (84. Davala), Ernst, Borowski - Micoud - Klose (62. Valdez), Klasnic (71. Charisteas)Zuschauer: 47.411; Tore: 0:1 Charisteas (80.), 1:1 Madlung (92.)