Das Partyzonenkind

Als Lolita des Pop war Britney Spears richtig gecastet. Ihr Comeback als gereifte Frau ist ein Flop. Die neue Britney bleibt ganz die alte

von HARALD PETERS

Dass ihr das Comeback nicht leicht fallen würde, war klar. Schon bevor Britney Spears sich vor knapp zwei Jahren aus der Öffentlichkeit zurückzog, hatte sich die Stimmung zu ihren Ungunsten gewandelt. Ihr Album „Britney“ verkaufte sich längst nicht so gut wie die beiden Vorgänger, und auch ihr Kinofilm „Crossroads“ fiel beim Publikum durch. Außerdem traten bald überall Konkurrentinnen auf den Plan, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, mit künstlicher Echtheit über Britneys echte Künstlichkeit zu triumphieren. Avril Lavigne konnte sich mit der Gitarre in der Hand erfolgreich als Skatepunk inszenieren, Pink konnte singen und sich schlecht benehmen, und Michelle Branch konnte ganz toll auf dem Klavier klimpern. Was konnte Britney?

Obwohl sie von ihrer Mutter Lynne bereits im Vorschulalter über Talentbühnen gescheucht wurde und mit acht Jahren nur deshalb als Moderatorin des „Mickey Mouse Club“ abgelehnt wurde, weil sie noch zu jung war; obwohl sie daraufhin die Zeit dazu nutzte, in New York Tanz zu studieren, und zwischenzeitlich in Werbespots und Off-Broadway-Stücken auftrat, bis sie schließlich alt genug für den Job als Moderatorin war; obwohl sie also ihr ganzes Leben für eine Karriere in der Unterhaltungsindustrie geschult worden war, tat sie sich durch keine bemerkenswerten Talente hervor. Sie konnte nicht gut singen, sie hatte keine große Ausstrahlung, sie sah nicht einmal besonders gut aus. Mit ihrer ersten Single „ … Baby One More Time“, die sie 1998 im Alter von 16 Jahren veröffentlichte, hätte sie als eines von vielen One-Hit-Wondern in die Geschichte der Popmusik eingehen können, doch sie wurde auf Grundlage dieses Titels zum erfolgreichsten Popstar ihrer Zeit. Diese Zeit scheint nun vorbei.

Ihre Weggefährten sind längst verschwunden: die Backstreet Boys haben sich in der Bedeutungslosigkeit verloren, an Mandy Moore erinnert sich niemand mehr. Allein ihre alten „Mickey Mouse Club“-Kollegen Christina Aguilera und Justin Timberlake haben sich durch radikale Richtungswechsel in die Gegenwart gerettet. Da Timberlake aber bereits das Feld R&B überaus erfolgreich besetzt und Aguilera sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln als selbstbestimmte und eigensinnig sexgesteuerte Künstlerperson inszeniert, blieb Spears im Grunde nur eine einzige Möglichkeit. Sie musste den Weg, den sie mit ihrem letzten Album eingeschlagen hatte, vollenden. Sie musste erwachsen werden.

Ihr neues Album „In The Zone“ kennt daher auch nur ein Thema. Die Sängerin, die der Welt zuletzt Song für Song zu verstehen gab, dass sie kein Mädchen mehr sei, aber noch keine Frau, ist nun wild entschlossen, sich im Zustand vollständiger Reife zu präsentieren. Dass sie sich in flankierenden Fotostrecken zu diesem Zweck gern auch mal etwas unbekleideter präsentiert, liegt möglicherweise in der Natur der Sache. Doch dass sie und ihr Beraterstab allen Ernstes annehmen, dass Alkohol, Partys und Sex genuiner Ausdruck von Erwachsenenkultur seien, mag nur einleuchten, wenn man die amerikanischen Vorschriften zum Jugendschutz als Grundlage nimmt.

Im Gegensatz zur schwitzigen Verruchtheit Aguileras nimmt sich die erwachsene Spears wie ein von der Leine gelassenes Teenager-Mädchen aus, das nach zwei Bier beschwipst durch eine Partygesellschaft torkelt und Jungs verschämt in den Hintern kneift. Beinahe jedes Stück auf „In The Zone“ handelt daher auch von Partys und Sex und Sex nach Partys. Um die neu erweckte Sexualität künstlerisch umzusetzen, hielt man es offenbar für eine gute Idee, Britney Schlüpfrigkeiten aufsagen zu lassen, die sie vornehmlich flüstert, seufzt und haucht.

Genau genommen handelten ihre Lieder zwar schon immer von Sex, doch das Interessante war, dass Britney sich mit aller Konsequenz ein Image schuf, das sie mit der gleichen Konsequenz verneinte. Was konnte sie dafür, dass es Männer erregte, wenn sie in einer Schuluniform tanzte? War es ihre Schuld, dass die Erwachsenenwelt bei ihrem Song „Baby One More Time“ Unanständigkeiten im Sinn hatte? Wenn sie sich für den Rolling Stone in knappen Hotpants und und Push-up-BH ablichten ließ, lag es doch nur daran, dass man in ihrer Heimat Louisiana schon wetterbedingt recht wenig trägt. Wenn ihre Brüste sich plötzlich vergrößerten, dann handelte es sich um spontanes Wachstum. Wenn sie Gregory Dark, den Regisseur von Pornofilmen wie „Sex Freaks“, ihr Video zu „From The Bottom Of My Broken Heart“ drehen ließ, dann war es eine rein künstlerische Entscheidung, sozusagen eine Verbeugung vor seinem Werk. Die neue Britney gibt sich verfügbarer, ansonsten ist sie ganz die alte.

Fast könnte man sagen, dass sie sich selbst treu geblieben ist, wenn man nur wüsste, was dieses Selbst ist. Es scheint nicht zu existieren, es wird nur behauptet, dass es vorhanden sei. Dies ist Britneys größtes Problem. Denn ohne die Behauptung, dass sich auf „In The Zone“ Britneys Persönlichkeit in betont erwachsener Weise ausdrückt, würde man gar nicht nach dieser vorgetäuschten Persönlichkeit fahnden. Dann wäre „In The Zone“ in alter Poptradition einfach dem schönen Schein und der Oberfläche verpflichtet – nicht mehr.

Doch „In The Zone“ soll tiefer gehen, und ebendas ist die Falle, in der nicht nur Britney steckt, sondern auch die Musikindustrie. Sie versucht offensichtlich in völliger Ratlosigkeit, nichts mehr dem Zufall zu überlassen. Man mag sich gar nicht ausmalen, wie viele Fachausschüsse, Demoskopen, Strategiekommissionen, Stylisten, Image-Berater und Produzententeams an der Entstehung dieses verblüffend belanglosen Albums beteiligt waren. Doch der Versuch, allen Eventualitäten vorzubeugen, schafft wiederum neue Eventualitäten, sodass letztlich ein riesiger Apparat entsteht, der auf Hochtouren arbeitet, um ein erstaunliches Nichts als kulturelles Großereignis zu verkaufen. Irgendwann erreicht der Apparat dann eine Größe, bei der sich die Frage, ob er für das Nichts oder vielmehr nur für sich selbst existiert, gar nicht mehr stellt.

Dass „In The Zone“ ausgerechnet unter Zuhilfenahme von Madonna beworben wird, damit diese sich im Gegenzug selbst wieder ein bisschen ins Gespräch bringen kann, ist gleichzeitig der beste und der schlechteste Witz, den die Musikindustrie derzeit zu bieten hat. Britney bleibt dabei früher oder später auf der Strecke. Man könnte fast Mitleid mit ihr haben.