Wandern für den Wahlerfolg

Annette Schavan will Ministerpräsidentin in Baden-Württemberg werden. Nun wirbt sie um den Beistand der Parteibasis – und stiefelt mit ihr durch den Hochschwarzwald

TODTNAU taz ■ Ausgerechnet jetzt muss auch noch Schneeregen über die Kandidatin hereinbrechen. Das Thermometer steht nur knapp über dem Gefrierpunkt, und auch sonst wäre Annette Schavan an diesem Wochenende wohl lieber zu Hause oder zumindest in ihrem beheizten Büro im Stuttgarter Kultusministerium geblieben. Doch weil sie Ministerpräsidentin von Baden-Württemberg werden möchte, ist sie nun in 1.200 Meter Höhe, hört geduldig Ausführungen zu Martin Heideggers Ferienhütte, von der allzu interessierte Fans Dachziegel abgerissen und schon ganze Fensterläden mitgenommen hätten. Erzählt ein freundlicher Herr von der Kurverwaltung, die jetzt Tourismus GmbH heißt. Annette Schavan hört geduldig zu. Hände schütteln, freundlich lächeln, grußworten. Basiswahlkampf in Todtnau im Hochschwarzwald.

Todtnau ist ein Bergdorf mit 690 Einwohnern, doppelt so vielen Kühen, sieben Skiliften, einer Jugendherberge, dem höchstgelegenen Freibad Deutschlands und heute auch mit 20 CDU-Mitgliedern mehr. Das heißt nicht ganz. Andrea Dichmann „sympathisiert nur“ und begleitet ihren Lebensgefährten Markus Heubes über Stock und Stein: „Annette Schavan wäre die bessere Ministerpräsidentin. Die kümmert sich um Wissenschaftsförderung.“ Sagt die Rechtsanwältin und stolpert über einen kleinen Felsbrocken, bevor sie über die Unterschiede in der Juristenausbildung spricht.

Die Wolken werden dunkler. Wirklich zutrauen würde er Annette Schavan den Posten nicht, flüstert ein älterer Mann mit Wanderstock einem Redakteur der Süddeutschen Zeitung für den Spiralblock zu. Die Kultusministerin stiefelt derweil vor der Gruppe her und redet über Blaubeeren.

„Wir kennen auch den Oettinger. Der ist aber einfach nicht so ein toller Mensch“, sagt Heidi Malnati. Herz und Stimme der Baumarktbesitzerin gehören schon lange vor der PR-Wanderung der promovierten Theologin Schavan. „Ich höre an allen Ecken immer wieder, dass Schavan ja nur eine Frau ist“, erzählt die Schopfheimerin wütend. Dass sie bei der in den nächsten Wochen anstehenden Befragung der Basis der Südwest-CDU ihr Kreuz bei Annette Schavan macht, ist für sie sicher. Und so könnte Annette Schavan zur Rache der rund 25 Prozent Frauen in der CDU werden. „Wenn man gut arbeitet, ist es doch egal, ob man ein Mann oder eine Frau ist“, schaltet sich Brigitte Schätzle aus Zell im Wiesental ungefragt ein. Doch glaube sie, dass das bei vielen in der Basis anders gesehen werde.

Der Wind weht rau. Schavan spürt, dass sie etwas sagen muss. Doch sie fühlt sich unwohl. Unwohl zwischen zwanzig Anhängern, die nicht mehr überzeugt werden müssen. Aber trotzdem denken, Schavan könne den Kampf nicht für sich gewinnen. Sie lässt kurz ihren Blick vom Schneiderhof ins Tal schweifen. Ihre klammen Finger umfassen ein Glas, das sofort beschlägt. Es ist einsam hier oben, so kurz vor dem Berggipfel. „Da goh’et de Viecher nie“, erklärt Bauer Erich Schneider der Ministerin. Die nickt, kommt besser mit dem Schwarzwaldbauern aus, als die Bild-Zeitung glaubt, versteht aber nur die Hälfte von Schneiders alemannischen Ausführungen. Sie schweigt, hört zu, und manchmal lacht sie sogar.

Schavan wirkt für die Anwesenden nach dem zweiten Himbeergeist männlich trinkfest. Die Ministerin redet über Schlachtvieh und Flächenfreihaltung in der Höhenlandschaft. Sie hat es wohl geschafft, auch Erich Schneider wird für sie stimmen. Sie überzeugt 20 unerschrockene und wetterweste CDU-Wanderer von 81.000 stimmberechtigten Landesmitgliedern. Genauso steinig wie der Weg rund um Todtnauberg ist der Weg an die Parteispitze, vorbei an Günther Oettinger, der für so vieles steht, was sie nicht besitzt: Rückhalt in der Fraktion, den nötigen Filz in Stuttgart, den Bonus als gebürtiger Schwabe, Protestant und Familienvater und, was wohl für viele den Ausschlag geben wird, ein Y-Chromosom.

Die Stimmung an der Basis entspricht aus der Perspektive des Schavan’schen Lagers in etwa dem Wetter. Irgendwie meinen sie es nett, sprechen ihr Kompetenz und Führungsqualitäten zu. Nicht aber das Amt. Die Tatsache, trotz geeigneter Voraussetzungen als ungeeignet eingestuft zu werden, ist wohl besonders schmerzhaft. MARTIN MÜLLER