Gouvernante, Engel und Spion

Ohne Frank-Walter Steinmeier sind die Erfolge der Koalition nicht zu erklären – auch nicht die Pannen. Verantwortlich ist im Zweifelsfall stets der Chef des Kanzleramts

BERLIN taz ■ Wenn etwas schief läuft in dieser Regierung, gehört er zu den Ersten, die zusammenzucken. Weil er es als einer der Ersten bemerkt. Frank-Walter Steinmeier, Chef des Bundeskanzleramts, ist in einem notorisch pannenanfälligen Kabinett dafür zuständig, Pannen gar nicht erst entstehen zu lassen. Die Qual des Amts: für nichts alleine zuständig, aber für alles, was schief geht, verantwortlich. Das Desaster um die gescheiterte Verlegung des Tags der Deutschen Einheit ist dafür ein treffliches Beispiel.

Gouvernante, Spion und Friedensengel, das sind die drei Rollen eines Kanzleramtschefs. Nach dem, was bisher über die gescheiterte Operation 3. Oktober bekannt wurde, fehlte es diesmal an allen dreien.

Als Gouvernante des Kanzlers redet der stets nüchterne Steinmeier seinem impulsiven Chef manchen Unsinn schon im Vorfeld aus. Die entscheidende Verabredung zur Abschaffung des arbeitsfreien 3. Oktober aber trafen Kanzler und Finanzminister am Mittwoch vor zwei Wochen unter vier Augen. War der Zögling der Aufsicht entwischt?

Als Spion des Kanzlers muss der Amtschef frühzeitig Feindaufklärung betreiben: Woher könnten Widerstände kommen, wer könnte Bündnisse schließen, wer Vorschläge zum Scheitern bringen? Dass die Verschiebung der Einheitsfeier auf einen Sonntag Proteste von Ost bis West, von Gewerkschaftern wie Vaterlandsverehrern auslösen würde, war absehbar. Steinmeier nahm an der Runde teil, die vergangenen Mittwoch den Plan endgültig absegnete. War der Spion blind für die Gefahr?

Selbst wenn Vorschläge weniger kontrovers sind als der zum 3. Oktober: Als Friedensengel des Kanzlers versucht Steinmeier regelmäßig, Unversöhnliche noch zu versöhnen. Vor allem dieser Eigenschaft verdankt der 48-Jährige, den Schröder aus Hannover nach Berlin mitbrachte, seinen Ruf. Im Frühjahr etwa trieb er die Stur- und Hitzköpfe Wolfgang Clement und Jürgen Trittin zu einem Kompromiss beim Klimaschutz. Zu Hilfe kommt ihm dabei das Vertrauen, das er bei den Grünen genießt. Geprägt durch Schröders erste Koalition in Niedersachsen ist Steinmeier einer der wenigen Verfechter eines „Projekts Rot-Grün“ im Machtzirkel des Kanzlers. Doch das Projekt 3. Oktober scheiterte ausgerechnet an der fehlenden Einbindung des kleinen Koalitionspartners.

Gouvernante, Engel und Spion – Steinmeiers Stärke aber macht aus, Fehler einzugestehen, etwa dass der Spruch von Schröders „ruhigen Hand“ ein dummer Einfall war. Jetzt muss er wieder stark sein.

PATRIK SCHWARZ