berliner szenen Die Briefschreiberin (1)

Die Ankündigung

An diesem Abend, drei Monate bevor wir ausgezogen sind, haben wir Lampen angebracht, wovon wir beide keine Ahnung hatten. Erst der Stromschlag, dann die Scherben.

Hannah fluchte, schrie und tat dann das, was sie immer machte, wenn sie wütend war (und nur dann) – sie machte die Wohnung ungewöhnlich sorgfältig sauber. Dabei tauchte ein Haufen ungeöffnete Briefe aus dem letzten Jahr auf. Weil ich das schon immer so mache, musste ich ihr erst zeigen, wie man Briefe nicht öffnet, sie vergräbt oder versteckt. Man weiß ja nie, was drinsteht.

Wir setzten uns auf die unsauber abgeschliffenen Holzdielen, langsam, damit wir uns keinen Splitter in den Hintern zogen, und rissen Papier. Es war ein ganz persönlicher, maschinell erstellter und ohne Unterschriften gültiger Jahresrückblick: Rechnung, Rechnung, Rentenversicherung, eilt, dringend, Mai, Mahnung, Mahnung, Inkassobüro, Rechtsanwalt. Gut, dass wir die nie aufgemacht haben, sagte Hannah, während sie einen der übrigen Briefe aus dem Umschlag zog. Eine gewisse Frau Breunig will mit uns reden, sagt Hannah in die Luft. Sie schreibt, sie sei Gerichtsvollzieherin. Aha. Und wenn wir nicht am soundsovielten zu Hause wären, dann verschaffe sie sich gewaltsam Zutritt zu unserer Wohnung. Aha. Die Ankündigung war auf morgen datiert. Aha. Schock.

Was kann so eine Gerichtsvollzieherin mitnehmen? Bricht sie echt die Wohnung auf? Was haben wir denn, was sie mitnehmen könnte. Wir zerstreuten uns in die Wohnung; plötzlich aufgestanden, zerstoben wir wie ein Parfüm und wandelten, mit prüfendem Blick die Gegenstände abtastend, durch die Zimmer. Viel hatten wir nicht. Ich habe nur die Angst in Hannahs Augen gesehen. ANDREA HÜNNIGER