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Mangel macht findig

Fahren mit allem, was brennt: Das Deutsches Technikmuseum Berlin zeigt die Fotoausstellung „Eigensinn mit Luntenzündung“ über den Traktor-Eigenbau in der äußerst fleißig recycelnden DDR

VON ANTONIA HERRSCHER

Siegfried Engelmann sagt, er habe seit der Wende zwei gebrauchte Ackergeräte im Westen gekauft – und die waren „Schrott“. Ob das von ihm konstruierte „skurrile Gefährt“ wirklich einmal einen beladenen Anhänger mit Holz durch den Wald gezogen habe, fragt man sich allerdings auch. Sein selbst gebautes Vehikel (Baujahr 1970) hat vier Räder und eine breite Sitzbank, eine mächtige Lenksäule stakt aus einem schmächtigen Motor heraus, einem Zweitakter mit dreihundert Kubikzentimetern, der lange Jahre im Dienst des Straßenbaus gelaufen ist. Der Rahmen ist Eigenbau. Das Getriebe entstammt einer Multicar-„Eidechse“.

Im Deutschen Technikmuseum werden derzeit ein Original-Traktor sowie 40 Fotografien von ungewöhnlichen Gebrauchsfahrzeugen gezeigt: Findige Konstrukteure haben sie aus vielerlei Bauteilen zusammengeschraubt. Zwischen 1992 und 1994 haben die beiden Fotografen Bernd Hiepe und Erasmus Schröter zahlreiche solcher Gefährte nebst ihren Erbauern in Thüringen ausfindig gemacht und diese zusammen neu in Szene gesetzt. Zusammen mit dem Texter Franz Josef Görtz entstand daraus der Bildband „Das andere Traktorbuch“.

Die meisten dieser „Benzinkühe“ verrosten heute in irgendwelchen Gärten oder sind auf Schrottplätzen gelandet. Denn das Leben auf dem Lande hat sich nach der Wende verändert. Die Möglichkeit, die Produkte einer kleinen Nebenerwerbslandwirtschaft an die staatlichen Handelsorganisationen zu verkaufen, entfiel. Hinzu kamen TÜV-Normen und Probleme mit dem neuen Versicherungsrecht. Die Agrarbetriebe, die aus den früheren LPG hervorgegangen waren, überlebten nur, indem sie einen Großteil der Belegschaft entließen. Den Schritt in eine landwirtschaftliche Selbständigkeit trauten sich nur wenige, dafür mussten Kredite aufgenommen werden. Die Dörfer wurden vielfach zu reinen Wohnorten.

Die ausgestellten Automobile scheinen zunächst Produkte eines Einfallsreichtums von Menschen zu sein, die sich in einer Mangelwirtschaft zu helfen wussten. Die Bilder von den nicht selten mit Kosenamen bedachten Traktoren und ihre Entstehungsgeschichten lassen jedoch auch an die amerikanische Liebe zum Beispiel zu umgebauten Rasenmähern denken, mit denen richtige Männer am Wochenende Rennen fahren; oder an die US-Heimwerker-Serie „Tool Time“: „Heute bauen wir ein Bett aus Stahl. Ein Männerbett: kalt und hart.“

Und es bedarf wohl auch der nötigen Zeit für Basteleien und das „Organisieren“ der benötigten Komponenten. Vor dem großen Boom Mitte der Neunzigerjahre konnte man auch im ländlichen Irland zahlreiche Improvisationen bewundern – nicht selten wahre Multifunktionsgeräte. Gebaute Sehnsüchte nach perfekten Maschinen, die mehr können als das, was die industrielle Serienproduktion auf Lager hatte.

Laut Statistik entfielen 1989 auf einen DDR-Bürger durchschnittlich 170 Kilo Hausmüll, von denen mehr als 42 Prozent wiederverwertet wurden. In der Bundesrepublik waren es dagegen 300 Kilo, und nicht einmal 7 Prozent wurden recycelt. Jede Felge, jedes Lenkrad, jedes Getriebe wurde im Realsozialismus wieder verbaut, auf dem Schrott landete nur, was absolut nicht mehr zu gebrauchen war. So entstanden die absonderlichsten Fahrzeuge, wie Erhard Wegeners dreirädrige Landmaschine, Baujahr 1949, mit Rüttler-Diesel und BMW-Getriebe, das anstelle eines Seitenwagens auf der rechten Seite einen schmalen Mähbalken hat, der sich auf der Straße in die Vertikale kippen lässt. „Der Motor sitzt verwegen zwischen Vorderrad und Hinterachse und gibt der Milchkuh das Aussehen einer Rennmaschine.“ Ein anderer dreirädriger Traktor (Baujahr 1974) mit selbst gefertigten Achsen und Rahmen wurde mit 12 Vorwärts- und drei Rückwärtsgängen ausgestattet. Der Tank, ebenfalls Eigenbau, verfügte über zwei Kammern. Der erste wurde für die Zündung mit Waschbenzin gefüllt, der zweite, „mit allem, was brennt“. Als Luftfilter fand ein Duschbrausekopf Verwendung.

„Doch mit Improvisationstalent und Fingerspitzengefühl, Knobeltechnik und Experimentierfreude allein war es längst nicht getan“, schreiben die Autoren. Um den Kühlergrill für einen Allradkipper aus einem Moskwitsch zu schneiden, brauchte es natürlich Erfahrung im Umgang mit Blechschere und Schweißgerät und den richtigen Blick für Proportionen – vor allem aber „die Bereitschaft, alle Dinge grundsätzlich erst auf den Kopf zu stellen.“

Bernd Hiepe, Erasmus Schröter, Franz Josef Görtz: „Das andere Traktorenbuch“. Landbuchverlag Hannover, im Vertrieb des Cadmos Verlags, Brunsbek 2001, 93 Seiten, 21 €ĽDie Ausstellung „Eigensinn mit Luntenzündung“ im Deutschen Technikmuseum läuft bis 28. Juni, Di.– Fr. 9– 17.30 Uhr, Sa. + So. 10– 18 Uhr

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