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Wolf im Schlumpfpelz

Blauschlümpfe sind gut, Schwarzschlümpfe böse. „Zombies – Herbst der Untoten“ ist ein Lehrstück für Gesellschaftskritiker und Splatter-Fans, uraufgeführt im Malersaal des Schauspielhauses

von Katrin Jäger

Es ist unheimlich und hochaktuell. Ausgerechnet einen Tag nach dem Anschlag auf das Britische Konsulat in der türkischen Metropole Istanbul sprengen Schwarzschlümpfe im uraufgeführten Stück Zombies – Herbst der Untoten des jungen Züricher Schreiberduos Samuel Schwarz und Raphael Urweider erst eine Tankstelle in die Luft, bevor sie eine ganze Stadt in Angst und Schrecken versetzen.

Blauschlumpfdame Barbara Bronson (Barbara Maurer), die aufgetakelte Fernsehmoderatorin, und ihr Mann Ben Daniel befinden sich mitten im Geschehen. Ben, stets den Schlumpfnachwuchs im Leinentragetuch an sich pressend, kann nichts anderes als den Kopf verlieren. Der Schauspieler Ben Daniel Jöhnk überzeugt als neuer Mann, der mangels alternativer Rollenvorbilder das Klischee der verschreckten, hilflosen Frau imitiert. Barbara, ganz Journalistin, überwindet ihren Schrecken und berichtet, wie sie mit dem Wagen, mutig und sensationsgeil, in die Meute der Schwarzschlümpfe hineinrast. „Ich pflüge durch sie hindurch. Es knirscht, klatscht, prellt, als ich sie überfahre. Sie flattern wie leere Kleidungsstücke durch die Luft, mit ausgerenkten Gliedern, wie kaputte Puppen.“ Splatter also, wie man ihn sonst nur aus den entsprechenden Filmen kennt.

Regisseur Samuel Schwarz knüpft hier eindeutige Verbindungen zu den Filmen der Zombietradition, vor allem zu The Night Of The Living Dead des US-Amerikaners George A. Romero und der dazugehörenden Trilogie. Doch nicht die Untoten sind bei Schwarz das Böse, sondern die Medien in ihrem Wahn, Katastrophen auszuschlachten und mit ihnen neue Ängste zu schüren. Das ist Schwarz‘ These und Stellungnahme zur derzeit laufenden angstgeleiteten Debatte in der echten Welt, darüber, ob die Anschläge in Istanbul nun das Fanal für Katastrophen in Westeuropa sei.

In ihrer Talkshow nimmt Barbara Bronson selbstverständlich den Schwarzschlumpfterror auf. Mit dabei der Philosophenschlumpf Bogossi (Thomas Kügel), Alter Ego des französischen Gesellschaftstheoretikers Jean Baudrillard, mit seinen Thesen vom Terrorakt als Supersymbol: „Der Einfall der Schwarzschlümpfe schlumpft zur Mutter aller Ereignisse hoch.“ Während sein Antipode Siggi (Siegfried Terporten), alias Klaus Theweleit, ausrastet. Es sei echt, alles echt, was hier passieren würde, Schluss mit dem Gefasel von der Virtualität.

Zombies – Herbst der Untoten gibt Nachhilfeunterricht im Gesellschaftsdiskurs über das Terrorphänomen, schaurig schön melodisch untermalt mit der Musik von Ted Gaier von den Goldenen Zitronen. Postmodern reflektiert es die Tradition der Zombiefilme, in die es sich zugleich einreiht, mit aller Brutalität des Genres. So, als der machtgierige Wissenschaftsschlumpf Matthias Schlotter (Matthias Breitenbach) lustvoll in den Eingeweiden seines Versuchsuntoten wühlt. Da spritzt Blut, da wirbeln Dünn-, Dickdarm und Herz durch die Luft, da klatschen seine begeisterten Studenten Beifall.

Zombies zitiert hier den verrückten Forscher aus Romeros Reihe und bewertet ihn neu, indem das Stück die Figur mit faschistoiden Allmachtsattitüden ausstattet. Auch er ein Blauschlumpf, einer also, der nach der comicgemäßen Charakterisierung zu den Guten gehört, sich hier jedoch als Wolf im Schlumpfpelz entlarvt. Trotz aller Gewalt und philosophischen Tiefe trainieren die Schlumpf- und Zombiemasken sowie die niedlichen Stummelschwänzchen von Esther Schmid, die für die Masken und Kostüme verantwortlich zeichnet, die Lachmuskeln.

weitere Aufführungen: 24., 29. und 30.11., 20 Uhr, Malersaal des Schauspielhauses

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