Die DDR ging – das Trauma blieb

Auch 15 Jahre nach dem Mauerfall leiden hunderttausende unter den psychischen Folgen von seelischer Folter durch die Staatssicherheit. Oft werden sie für Simulanten gehalten. Opferverbände fordern leichtere Anerkennungsverfahren

Ein ausgeschlagenes Auge und zweieinhalb Jahre Haft in Bautzen und Leipzig ergaben 10.400 Mark Schadenersatz. Ein wegen Misshandlung von Häftlingen verurteilter Stasi-Oberleutnant praktiziert heute als Rechtsanwalt. Früher widmete er sich mit besonderer Brutalität der „Zurückdrängung von Erscheinungsformen des Verlassens der DDR“. Sein Opfer N. K. ist Invalide.

Die Betroffenen können ihre traumatischen Erlebnisse auch 15 Jahre nach dem Mauerfall nicht wie eine Datei aus Seele und Hirn löschen. Experten gehen von wenigstens 300.000 psychisch beeinträchtigten bzw. gestörten Personen aus, die unter den Folgen seelischer Folter zu leiden haben.

Sechs von ihnen suchen seit drei Jahren Hilfe im Berliner Zentrum für Folteropfer. Die 40- bis 70-Jährigen werden geplagt von Albträumen, Schlaflosigkeit, Angst und Panikgefühlen. Auslöser dafür waren die Handlanger der Staatssicherheit, die ihre Persönlichkeit nach allen Regeln der Kunst zu brechen wussten. Sie steckten sie in Einzelhaft, entzogen ihnen Schlaf, führten Verhöre in der Nacht, überwachten sie rund um die Uhr und täuschten ihnen den Verrat vertrauter, nahe stehender Personen vor. „Nach vier Wochen Einzelhaft und drei Tagen Dunkelzelle bist du kaputt“, berichtet R. H., „da hast du keine Träume mehr und weißt nicht, was du eigentlich noch glauben kannst.“

Aggressionen, Stimmungslabilität und Depressionen sind als Folge der Haft nicht selten Ursache für berufliches Scheitern und den Zerfall familiärer Bindungen, so Ferdinand Haenel, betreuender Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Nach der kurzen Zeit der Freude über den Zusammenbruch des verhassten Systems, kehrten die Bilder der Erinnerung wieder. Einige hatten Angst, ehemaligen Peinigern zu begegnen, reagierten panisch auf ostdeutsche Kollegen am Arbeitsplatz im Westen, fürchten sich vor geschlossenen Räumen, sind misstrauisch gegenüber anderen oder suchen keine Hilfe, weil sie niemandem mehr vertrauen können. Zwar können Folgesymptome bei erfolgreichem Berufsweg oder stabiler Partnerschaft und Familie lange in den Hintergrund treten. Sobald aber Krisen auftreten, brechen die Symptome aus: Magen-, Kopf- und Herzschmerzen, Atembeschwerden, Zittern oder Ess- und Schlafstörungen.

Heute fühlten sich die Betroffenen wieder als Außenseiter, so Haenel, der seit sechs Jahren auch als Gutachter für Sozialämter oder Gerichte arbeitet. Nach dem DDR-Unrechtsbereinigungsgesetz müssen die Betroffenen mit einem medizinischen Gutachten nachweisen, dass auf Grund posttraumatischer Belastungsstörungen (PTSD) ihre Erwerbsfähigkeit um mindestens 25 Prozent eingeschränkt ist. Dann haben sie Anspruch auf ein kleine Rente. Da sich aber nur wenige Ärzte mit den Symptomen des „Foltersyndroms“ auskennen, werden solche Patienten leicht für Simulanten und Querulanten gehalten. So erhielten im Jahr 2000 nur sechs Prozent der Antragsteller eine rentenfähige Anerkennung. Haenel hat 30 Ablehnungen überprüft, 25 von ihnen daraufhin nachträglich anerkannt. Deswegen fordern Opferverbände, verfolgungsbedingte Krankheitsschäden nach dem Prinzip der „Tatsachenvermutung“ anzuerkennen und breit über Symptome des „Foltersyndroms“ aufzuklären. Haenel hält dies für das mindestes Entgegenkommen.

Verbittert und resigniert reagieren die Mutigen von gestern und Opfer von heute aber auch, wenn sie hören und lesen müssen, wie ehemalige Systemträger ihre Schäfchen ins Trockene bringen. Jüngstes Beispiel dafür ist das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 7. Juli 2004, das von Ostrentnern mit leitenden Funktionen in der Nationalen Volksarmee, im DDR-Patentamt und Bauministerium erstritten wurde. Nun werden diejenigen Rentner besser gestellt, die der DDR besonders nahe standen.

ANNETTE MAENNEL

ANNETTE MAENNEL (40) ist Referentin der Heinrich-Böll-Stiftung

Behandlungszentrum für Folteropfer, Turmstraße 21; Tel.: (030) 3 03 90 60. Beratungs- und Behandlungsstelle „Gegenwind“ für politisch Traumatisierte der DDR-Diktatur, Bredowstraße 36; Tel.: (030) 39 87 98 11