Es fehlt nur ein bisschen Stacheldraht

Vor Ort an Hildebrandts Wall-Remake: Der Checkpoint Charlie verwirrt seine Besucher aus aller Welt

Der Kies war weiß, um die Flüchtlinge besser zu erkennen; so meint Ricardo Turrini (14) aus Frankfurt/Main. Die 22-jährige Milena Hüppi aus der Schweiz glaubt nicht, dass das Grenzerhäuschen und die Mauer am Checkpoint Charlie echt sind, findet sie aber gut nachgebaut. Eines vereint jedoch beide, den ehemaligen Ostsektor halten sie für die Westseite – denn die Häuser dort sehen einfach besser aus.

Mit vielen anderen Touristen und einigen Kamerateams haben sich die beiden an diesem grauen Montagmorgen zum ehemaligen Grenzübergang aufgemacht, um Berlins Vergangenheit zu erforschen. An der Zimmerstraße hat die Geschäftsführerin des Mauermuseums, Alexandra Hildebrandt, ein Stück der Mauer wieder aufgebaut – allerdings auf der falschen Straßenseite. Die suchenden Blicke vieler Touristen, die erklärenden Worte der Begleiter und gestellte Fotos mit angeblichen britischen Soldaten, die eigentlich verkleidete Kunststudenten sind, zeigen: Zur Erinnerung fehlen die authentischen Symbole.

Maximilian aus Hamburg (25), der in Berlin seit zwei Jahren Kunst studiert, wundert sich über den Wiederaufbau an dieser Stelle. Denn er glaubt fälschlicherweise, dass die alte Mauer die Friedrichstraße in Längsrichtung geteilt habe. Zudem sei sie zu weiß, als dass sie echt sein könne. Das sehe man gut an der East-Side-Galerie am Ostbahnhof, wo sie noch wie früher, so sagt er, besprayt ist. Auch dies ist nicht authentisch, denn wer hätte schon von der Ostseite die Mauer bemalen dürfen? Die Gemälde dort entstanden erst nach der Wende.

Nicht nur diesen drei jungen Menschen fehlt die Orientierung. 15 Jahre nach dem Fall der Mauer streiten auch die Verantwortlichen erneut um die richtigen Orte der Erinnerung. Der CDU-Landesvorsitzende Joachim Zeller fordert wegen der „Hildebrandt-Mauer“ ein ganzheitliches Gedenkstättenkonzept. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) meint, dass viele Menschen eben zum Checkpoint Charlie auch wegen der russischen Mützen der Trödelhändler gehen. Schon 1997, während der Amtszeit von Eberhard Diepgen (CDU), waren es ehemalige DDR-Bürgerrechtler und die Grünen, die dem damaligen CDU/SPD-Senat Konzeptlosigkeit beim Mauer-Gedenken vorwarfen, als dieser mit der Markierung des Mauerverlaufs begann. Neben aller subjektiven Kritik hat auch diese Markierung einen kleinen Fehler: Der Schriftlauf „Berliner Mauer 1961–1989“ ist nur aus der Sicht des Westens zu lesen – aus Sicht des Ostens, von dem aus die Mauer errichtet wurde, steht die Schrift auf dem Kopf.

Der Checkpoint Charlie und der im Straßenverlauf teilweise nachgezeichnete Mauerstreifen sind kein Einzelfall. Auch die Gedenkstätte an der Bernauer Straße und das Museum in der früheren Stasi-Zentrale in Lichtenberg wirken künstlich und nachgestellt. So scheint die schmale Mauerwand in der Bernauer Straße für jeden überwindbar.

Im Unterschied dazu aber haben viele Menschen den Checkpoint Charlie aus Spielfilmen und Zeitungsfotos im Unterbewusstsein. Daher ist gerade dieser Ort am besten zur Erinnerung geeignet. Nur etwas „künstliches Stacheldraht“ fehle, so Markus (19) aus Bayern. „Dann wäre die Mauer hier echt o. k.“

MARIO CZAJA

MARIO CZAJA (29) sitzt für die CDU im Abgeordnetenhaus