Der Pfarrer, der fünf Ringe anbeten lässt

Christian Führer verhalf mit Montagsdemos der DDR zum Ende. Nun betet seine Nikolaikirche erneut – für Olympia

Seine auch im Alter von 60 Jahren nur wenig gelichtete Igelfrisur schien stets mit der Widerborstigkeit seines Auftretens zu korrespondieren. Christian Führer, seit 1980 Pfarrer an der wichtigen Nikolaikirche im Zentrum Leipzigs, ist eine Symbolfigur des beharrlichen Widerstands gegen staatliche Repression in der DDR.

1987 entstand in der Nikolaikirche ein den Behörden höchst suspekter Gesprächskreis „Hoffnung für Ausreisewillige“. Ein Jahr später wagte man Fürbittandachten für Demonstranten, die am Rande der offiziellen Liebknecht-Luxemburg-Kundgebung verhaftet worden waren. Keine Dokumentation der so genannten Kerzenrevolution vom Herbst 1989 kommt an Pfarrer Führer vorbei. Von den jeweils montags stattfindenden Friedensgebeten gingen jene lawinenartig anwachsenden Montagsdemos aus, deren Beispiel bundesweit bei allen möglichen Anlässen Schule machte.

Als einen ziemlich unmöglichen Anlass empfanden viele Leipziger allerdings den Aufruf zu einem Pro-Olympia-Gebet mit Demo. „Es geht darum, den Kopf zu heben, um aus dem Tal der Tränen herauszufinden“, begründete Christian Führer gegenüber der taz. Führer kam auf sein neues Gebetsmotiv, weil ihn der Vorstand des Vereins „Leipzig für Olympia“ um göttlichen Beistand für die verkorkste Olympiabewerbung bat.

Es dürfte das erste Mal sein, dass die Autorität des Pfarrers Führer daraufhin ins Wanken kam. Bislang war er, bei allem politischen Engagement, doch stets der Seelsorger geblieben. Anders als viele nach der Wende in politischen Funktionen verschlissene frühere Berufskollegen blieb er streng an das Evangelium gebunden. Zuletzt demonstrierten mit seiner Unterstützung im Frühjahr dieses Jahres zehntausende in Leipzig – gegen den Irakkrieg.

Nun hat Pfarrer Führer sich nach Meinung von Gläubigen und der Amtskirche auf allzu irdisches Terrain verirrt. Der Chef des Leipziger Kirchenkreises, Superintendent Ekkehard Vollbach, findet es falsch, „dass sich der liebe Gott um Brot und Spiele kümmern soll“. Und der „Aktionskreis Leipziger Montagsdemo“ moniert, dass die Montagsdemo als „Akklamationsveranstaltung“ missbraucht werde – noch bevor die privaten Bereicherungsaffären um die Olympia-GmbH aufgeklärt seien. Betroffenheit hat ausgelöst, dass es erstmals am Rande einer Montagsdemo zu einem sehr unfriedlichen Handgemenge mit Olympiagegnern kam.

Diesmal gibt sich Führer widerborstig gegen die eigenen Reihen. Jede Gruppe habe das Recht, ihre Nöte und Anliegen in das Friedensgebet hineinzutragen. Aus dem kritisierten Friedensgebet zitiert er den viel strapazierten Propheten Jeremia: „Sucht der Stadt Bestes … und betet für sie zum Herrn, denn wenn’s ihr wohl geht, so geht’s auch euch wohl.“ Auf die Frage, ob damit nicht der große Ruf der Leipziger Montagsdemos beschädigt werde, mochte Pfarrer Führer nicht antworten.

MICHAEL BARTSCH