nebensachen aus brüssel
: Im Westen nichts Neues

Den meisten Leuten fallen beim Stichwort Belgien die guten Fritten ein – und vielleicht noch die Kinderschänder-Skandale. Die begehrte Auszeichnung „best frit“ wurde kürzlich zum ersten Mal an ein französisches Frittenrestaurant vergeben. Doch die belgische Justiz wird ihrem Weltruf auch weiterhin gerecht. Was ist eigentlich aus diesem Dutroux geworden, wollen deutsche Freunde wissen, wenn mal wieder die typischen Themen aus meiner Wahlheimat durchgehechelt werden. Seit 1996 wartet der auf seinen Prozess? Kinder, wie die Zeit vergeht …

Inzwischen ist ja auch eine Menge passiert. Der weiße Marsch, der Aufstand der anständigen Belgier gegen Filz und Schlamperei im Justizapparat, ist schon mehr als sieben Jahre her. Hoffnungsträger Verhofstadt hat im Sommer bereits zum zweiten Mal die Wahlen gewonnen. Sein erster Justizminister hieß Marc Verwilghen, Rechtsanwalt, Abgeordneter und Vorsitzender zweier Untersuchungsausschüsse, die sich mit der Affäre Dutroux und mit den in Belgien verschwundenen und ermordeten Kindern befassten.

Verwilghen trauten die Wähler zu, dass er die Verflechtungen zwischen Justiz, Politik und belgischer Mafia aufdecken würde. Inzwischen ist der Lack aber ab, der Jurist hatte genauso wenig Erfolg wie seine Vorgänger. Im neuen Kabinett Verhofstadt hat Laurette Onkelinx den undankbaren Job übernommen. Hoffungsträger Marc Verwilghen kümmert sich nun um Entwicklungszusammenarbeit – Kongo, Burundi und Ruanda, den ehemaligen Kolonien, gilt sein besonderes Augenmerk. Im Vergleich zum belgischen Justizministerium scheint das eine überschaubare Aufgabe zu sein.

Marc Dutroux versorgt derweil weiter die Boulevardpresse mit schön-schaurigen Meldungen. Kürzlich wurde bekannt, dass er zwei Jahre lang ungestört aus dem Gefängnis mit einem Mädchen korrespondierte, das zu Beginn der Brieffreundschaft erst fünfzehn war. Fast 200 Liebesbriefe soll sie ihm geschickt haben, er unterschrieb die Antworten „Dein kleiner Prinz Marc“.

Der kleine Prinz soll mehrere Mädchen missbraucht und gequält haben, zwei sind in seinem Keller verhungert. Die Gefängnisverwaltung fand trotzdem nichts dabei, dass er einer Minderjährigen Fotos und Haarlocken schickt. Fast jede Woche laufen im belgischen Fernsehen Interviews mit den Eltern der toten Kinder, die hilflos-wütend fragen, warum der mutmaßliche Mörder noch immer nicht auf der Anklagebank sitzt.

Letzte Woche begann in Turnhout das Strafverfahren gegen Marcel Vervloesem. Auch sein Name ist im Zusammenhang mit der Affäre Dutroux bekannt geworden, ursprünglich war er aber nicht für eine Schurkenrolle vorgesehen. Er gründete die Kinderschutzvereinigung Morkhofen, die sexuelle Ausbeutung von Kindern verhindern will. Nun sitzt Vervloesem selber als mutmaßlicher Kinderschänder auf der Anklagebank.

Eine Fundgrube für Verschwörungstheoretiker ist dieser belgische Päderastensumpf. Der König selber sei Kunde von Dutroux gewesen, will ein Luxemburger Journalist von zweifelhaftem Ruf herausgefunden haben. Der Dutroux-Spezialist beim belgischen Wochenblatt Le Soir magazine hat eine andere Theorie: Die Ermittler hätten in all den Jahren keine einzige brauchbare Spur ins Politiker- und Prominentenmilieu gefunden.

Doch auch wenn alle Fakten dafür sprächen, dass Dutroux ein krankhafter Einzeltäter sei, werde weiter verzweifelt nach prominenten Hintermännern gefahndet. Schließlich will man den tausend Medienleuten, die sich bereits angemeldet haben, im kommenden Frühjahr etwas bieten. Sonst wird der Prozess eben noch mal verschoben.

DANIELA WEINGÄRTNER