Lebenslänglich oder Psychiatrie?

Ab heute steht der Mörder von Schwedens Außenministerin Anna Lindh erneut vor Gericht. Streitpunkt sind verschiedene Gutachten zum psychischen Zustand des Täters

STOCKHOLM taz ■ Soll der Mörder von Außenministerin Anna Lindh zu lebenslanger Haft oder rechtspsychiatrischer Behandlung verurteilt werden? Diese Frage wird im Mittelpunkt der heute beginnenden Revisionsverhandlung vor Schwedens Oberstem Gerichtshof stehen.

Ausgehend von unterschiedlichen Gutachten zum psychischen Gesundheitszustand des Täters Mijailo Mijailovic war dieser in erster Instanz zu „lebenslänglich“, im Juli in der Berufungsinstanz zu einer Behandlung verurteilt worden. Er habe den Mord unter Einfluss einer vermutlich schweren Psychose begangen, unter der er nach wie vor leide und spezieller psychiatrischer Behandlung bedürfe. Mit dieser sei die Psychose heilbar. Sobald er gesund ist, könnte Mijailovic ein freier Mann sein. Theoretisch in sechs Monaten, praktisch in zwei bis fünf Jahren.

Eine solche Rechtsfolge war nicht erwartet worden. Die öffentlichen Reaktionen fielen entsprechend aus. Von „Schande“ und „Skandal“ sprachen Pressekommentare. Bo Holmberg, Lindhs Ehemann, sagte, er empfinde das Urteil als „Provokation“. Es sei „eine Herausforderung für die öffentliche Meinung und das Rechtsempfinden“. „Der Mord war politisch. Jetzt hat es den Anschein, als ob er nicht gesühnt werden soll.“

Doch das schwedische Recht ist bei der Straffolge für psychisch kranke Täter eindeutig. Entweder sind sie „nur“ psychisch gestört. Dann wartet Gefängnisstrafe. Oder schwer psychisch krank. Dann müssen sie psychiatrisch behandelt werden. Eine dritte Alternative fehlt.

Sie wird seit Jahren diskutiert: Entweder wirksame Behandlung auch hinter schwedischen Gardinen. Das halten Experten angesichts der Situation im Strafvollzug für eine Illusion. Oder Absitzen der Strafe nach erfolgreicher Behandlung. Doch da kommt der Einwand: Warum soll jemand eine Strafe absitzen, die eine „andere“ Person begangen hat?

Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in vergleichbaren Fällen war bislang nicht eindeutig. Doch es gibt eine Tendenz. Die schwedische Strafjustiz hat sich immer mehr zum Verwahrungsvollzug entwickelt. Wurden 1975 72 Prozent aller Mörder zu psychiatrischer Behandlung und 28 Prozent zu Haft verurteilt, hatten sich diese Zahlen bis 2003 umgekehrt.

Mijailovic, dessen Eltern Anfang der Siebzigerjahre aus dem früheren Jugoslawien nach Schweden gekommen waren, hat mittlerweile seine schwedische Staatsbürgerschaft zurückgegeben und ist jetzt nur noch Staatsbürger Serbien-Montenegros. Damit will er offenbar die Möglichkeit für eine Strafverbüßung in serbischer Haft öffnen.

Das hat auch die Debatte über politische Tatmotive wieder aufleben lassen. So hatte Anna Lindh das Nato-Bombardement gegen Serbien 1999 abgesegnet. Dieses soll Mijailovic zu folgender Äußerung veranlasst haben: Er werde die Frau töten, die den Krieg in seiner Heimat unterstützt habe. REINHARD WOLFF