Vom Diesseits erfasst

„Tod und Feuer“: Das Sprengelmuseum Hannover zeigt Paul Klees Spätwerk. Damit eröffnet es die erste norddeutsche Ausstellungs-Trilogie

aus Hannover JÖRG MEIER

Plötzlich: das Ende. Nichts mehr entwickeln, alles lösen aus dem Leben. Der nahende Tod. Da gilt es für den Künstler, sein Oeuvre auf den finalen Punkt hin zu konzentrieren – auf der Suche nach dem Sein hinter dem Dasein. Um sich Mut zu machen. Um das Ableben zu verarbeiten. Gerät dabei die emotionale Farbigkeit noch so düster und erdig satt, wirkt die Jute-, Gips- und Karton-Materialität noch so roh, drohen die schwarzen Hieroglyphen noch so schroff – immer glüht ein lichter Ton durch die dramatischen Kompositionen Paul Klees, die im Schweizer Exil 1933 bis 1940 entstanden sind.

„Tod und Feuer“ ist eines dieser geradezu metaphysisch milde erleuchteten Gemälde betitelt. Nach ihm ist die Ausstellung benannt, die das Sprengel Museum mit der Basler Fondation Beyeler konzipiert und nach Hannover übernommen hat. Untertitel: „Erfüllung im Spätwerk“. Mit dem Endspiel des Malers startet also der Klee-Ring norddeutscher Museen. In der Kunsthalle Bremen wird sich ab 30.11. die einzig originäre Schau der Trilogie anschließen: „Paul Klee - Lehrer am Bauhaus“. Gefolgt von der Kunsthalle Hamburg, wo Klee ab 12.12. als radikaler Zeitzeuge für „1933“ entdeckt werden soll, wie bereits in München, Bern und Frankfurt geschehen.

Das Frühwerk des 1879 geborenen Bild-Magiers ist anhand seiner Tagebücher bis ins Detail nachzuvollziehen und schon zu seinen Lebzeiten gewürdigt worden. Und die mittlere Schaffensperiode lässt sich trefflich aus seinen pädagogischen Schriften deuten. Für das Spätwerk indes gibt es kaum mehr Erklärungen, nur noch die Arbeiten selbst. Allein 1939 schuf Klee 1.253 Bilder – wie Tagebuchnotizen. Ein Dialog mit sich selbst: Galeristen, Sammler, Freunde waren aus seinem Umfeld verschwunden. Dabei künstlerte Klee mitten in einer Drei-Zimmer-Wohnung.

Zur räumlichen Not kam noch die finanzielle. 1931 war Klee als Professor vom Bauhaus Dessau an die Kunstakademie Düsseldorf gewechselt. Bereits 1933 wurde seine Entlassung erwirkt. Als „entartet“ diffamiert, blieb nur die Flucht – nach Bern, wo er aufgewachsen war.

Im Gegensatz etwa zu Picasso, mischte sich der Schweizer in der Folgezeit politisch nirgends ein, verweigerte sogar anti-deutsche Solidaritätsbekundungen, so sehr er den Nationalsozialismus auch verachtete.

Was die Schaffenswut befeuerte, war die zornige Unruhe der Verzweiflung. Ohne Amt, Geld und deutsche Heimat stand er da – und musste auch noch sein Todesurteil erfahren. Progressive Sklerodermie wurde diagnostiziert, eine unheilbare Krankheit, die körperliche Beweglichkeit zunehmend einschränkt. Da war es vorbei mit Klees selbstgerechtem Vorsatz, „diesseitig bin ich gar nicht fassbar“, und dem Programm, seine Bilder mit dem „zähen Schlamm der Erscheinungswelt“ nicht zu beschmutzen: Der Tod konnte nicht mehr auf Distanz gehalten werden.

Der Ausstellungs-Parcours, der mit der pointillistischen Phase beginnt, zeigt das in lässiger Chronologie. Das 1936 entstandene „Tor zur Tiefe“ definiert den Umbruch zum Spätstil. In hart kontrastierter Blockstruktur baut sich eine Wand vor dem Betrachter auf, die nur einen Fluchtpunkt lässt: den dunklen Keil der Bild-Mitte. Die Palette wird fahler, Zartheit, Ironie und das artifiziell Konstruierte schwinden. Es herrschen ornamentale Metaphern der Angst.

Merkmal des Spätwerks ist der zeichnerische Stil. Laut Klee ist die „Linie nur ein Punkt, der sich in Bewegung gesetzt hat“. Die malerische Gestik gehorcht dabei der spontanen Handbewegung, die er bei Picasso so verehrt hatte. Nun ist sie ihm selbst zum Ausdrucksmittel geworden. Mit Schwung greift Klee in die Flächen hinein, bis sich Liniengespinste zu Zeichen strukturieren, die später von den Herren Hearing und Penck bestens vermarktet werden. Bei Klee aber nicht zum Merchandising taugen: Sie fügen sich zu barocken Texturen, aus denen sich, gar nicht nett, zerstückelte Körper herauskristallisieren. Etwa in „Angstausbruch III“ (1939), wo Einzelteile eines Menschen sauber sortiert zur Schau gestellt werden– wie nach dem Kettensägemassaker eines Ordnungsfanatikers.

Klee wird immer deutlicher. Eines seiner letzten Werke („Gefangen, Diesseits – Jenseits/Figur“, 1940) entstand auf einem grob geflochtenen, blaugrün bemalten Sack. Darauf ziehen sich schwarze Balken zum Gitterwerk zusammen, das lustig hingeworfene Striche, „strebend nach Gesicht“ (Klee), ausweglos einschnürt.

„Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar.“ So beschrieb Paul Klee den Sinn künstlerischen Schaffens. In seinem Spätwerk erfüllt er ihn: Jenseits der Abbildhaftigkeit erfindet er in vollendeter Schönheit seine Farb- und Formensprache noch einmal neu – zur intimen Auseinandersetzung mit dem Tod.