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Unser Autor Markus Flohr hat seinen Posten in Göteborg aufgeschlagen, wo er den Norden im Norden sucht. Heute eruiert er die geheime Bedeutung gewisser grüner Tüten.

Wer glaubt, sie oder er hätte beim wochenendlichen Vergnügungsdefileé auf Norddeutschlands Reeperbahnen oder Sielwallkreuzungen schon alles gesehen, der irrt. Wer glaubt, das Ausgehen anderswo, etwa in Göteborg, sei bedeutend anders, der irrt ebenso. Aber etwas ist anders: Der schwedische Staat verkauft den Treibstoff für die Nacht in der Monopoleinrichtung „Systembolaget“.

Diese Spritboutiquen sind so sauber, fast klinisch gepflegt, dass die Flaschen und Dosen aussehen wie Kosmetikgegenstände. An der Kasse zeigt man den Ausweis vor, es stehen zwei Sicherheitsmänner am Eingang. Handzettel informieren darüber, dass Alkoholismus ein großes Problem ist.

Mit einer unbeschrifteten dunkelgrünen Tüte, die jeder auf der Straße erkennt, gerade weil sie so unauffällig sein soll, klappern sich die potenziellen Suchtopfer nach Hause. Für zwei Flaschen Bier und einen mäßigen Wein lässt man über zehn Euro beim System. „Die Schweden haben keine Alkoholkultur“, sagt meine schwedische Begleitung. „Am Wochenende sind alle betrunken. Das ist normal. Wer unter der Woche trinkt, ist Alkoholiker.“

Heute ist Freitag. Also dürfen wir ab acht sanktioniert saufen. Schwedens Jugend veranstaltet „Vorpartys“, bei denen jeder seine eigene dunkelgrüne Tüte mitbringt. Bald ist alles weg, und die Vorpartygesellschaft geht auf die Straße. Dort trifft man sich – mit vielen anderen leeren dunkelgrünen Tüten. Es wird nicht ausgegangen und irgendwann morgens nach Hause getorkelt, sondern „vorgeglüht“ und fröhlich losgerockt.

Unser erstes Ziel ist eine Disco, die im ersten Stock liegt. Da stehen zwei junge Frauen, bei der einen reicht der String-Tanga ungefähr bis zu den Schulterblättern. Ihr T-Shirt passte ihr vielleicht einmal, als sie zwölf war. Sie hält sich an ihrer Freundin fest. Dann nehmen sie die ersten vier Treppenstufen in einem Schritt. Natürlich geht es schief, und Miss String-Tanga schlägt sich auf einer Treppenstufe die Lippe auf und blutet aus der Nase. Ihre Freundin ist leider selbst zu betrunken, um ihr zu helfen. Der Türsteher kommt sehr routiniert mit der Mullbinde angetrottet und tupft ihr im Gesicht herum.

In der zweiten Disco probiert ein Göteborger Germanistik-Student sein Deutsch an mir aus. Er erklärt mir, dass Bremen wirtschaftlich zu Ostdeutschland gehört. Ob ich Kraftwerk kenne? Ob alle Deutschen Neonkleider tragen? Er hat ein T-Shirt an, auf dem „Damenfußball“ steht. Ich bin verwirrt, aber er gibt mir etwas aus seiner dunkelgrünen Tüte ab.

Die dritte Station ist eine Art Kneipe, in der man eigentlich tanzen soll, aber zu dieser Nachtzeit schon der überwiegende Teil der Belegschaft angeknockt in der Sofaecke herumhängt. Da die nicht sehr große ist, sitzen wir eng beieinander. Zwanzig Leute auf vier Sitzmöbeln. Saufen fördert das Gemeinschaftsgefühl. Ich gehe mir eine Cola bestellen, um den Weg nach Hause zu schaffen. Als ich wieder komme, ist mein Platz weg. Um drei sind endgültig alle Tüten leer, und in der Kneipe regt sich nicht mehr viel. Auf der Reeperbahn mag die Party jetzt auf dem Zenit sein, hier geht es nach Hause. Bis zum nächsten Freitag. Denn wer zwischendurch nascht, ist Alkoholiker. Markus Flohr